Finanzierungslücke soll mit EU-Mitteln aus dem Wirtschaftsministerium gestopft werden. Bürger wollen sofort Schutz

Bleckede. Die Bleckeder sind höfliche Menschen. Selbst dann, wenn sie wütend sind. Und so begrüßten rund 150 Bürger, die meisten aus dem Ortsteil Alt Garge, Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) zur Stadtratssitzung am Mittwochabend im Bleckeder Haus mit Applaus.

Der Minister war angereist, um verärgerten Bürgern und Kommunalpolitikern seinen Weg aus dem Finanzierungsdilemma für den Deichbau in Alt Garge zu präsentieren. Geld hatte er nicht dabei. Dennoch gestand Sander dem Bleckeder Ortsteil zu, dass dieser dringend einen Schutz vor dem Hochwasser der Elbe benötige. Seine Zusage: "Wir bauen den Deich 2013."

Das Versprechen des Umweltministers quittierten etliche Zuhörer mit Gelächter und Zwischenrufen wie ,,Hör' doch auf!" Sie haben kein Vertrauen mehr in Zusagen aus Hannover nach der Finanzierungspanne für den Deich, der eigentlich schon im kommenden Jahr gebaut werden sollte. Wie berichtet, war die ursprüngliche Finanzierung für den 2,3 Kilometer langen Schutzdamm in Höhe von 5,6 Millionen Euro geplatzt.

Das Umweltministerium hatte festgestellt, dass im Ziel-1-Förderprogramm der EU für das Vorhaben in Alt Garge nicht mehr genug Geld vorhanden ist. Geplant war, mit den Mitteln aus Brüssel plus weiteren von Bund und Land den Deichbau zu 95 Prozent zu fördern, sodass bei der Stadt Bleckede ein Eigenanteil von fünf Prozent der Baukosten verblieben wäre. Doch schnellte der Bleckeder Beitrag wegen des Lochs im EU-Fördertopf auf satte 30 Prozent hoch. Das sind 1,7 Millionen Euro, die die Stadt nicht aufbringen kann, wie auch Sander einräumte.

Bevor er sein alternatives Finanzierungskonzept vorstellte, ging er zunächst hart ins Gericht mit dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), der mit der Planung für den Deichbau in Alt Garge betraut ist.

Sander kritisierte scharf, dass die Behörde ihn nicht darüber informiert habe, wie sich die Kosten- und Finanzierungsentwicklung bei dem Projekt zugespitzt habe: "Ich habe von dem Problem erst aus der Zeitung und von Abgeordneten erfahren." Er übernehme für die Panne die politische Verantwortung, sagte Sander. Auch wenn es ihn wurme: "Immer wenn ich Alt Garge höre, geht bei mir der Blutdruck hoch wegen derjenigen, die für die Baukostensteigerung zuständig sind."

Jetzt müsse aus der Situation jedoch das Beste gemacht werden, so der Minister. Seine Fachleute im Ministerium glaubten, dass der Deichbau weiterhin machbar sei. Das Rezept: die Baukosten drücken und die Förderung auf 90 Prozent hochschrauben. "Ich gehe davon aus, dass wir Ziel-1-Mittel aus dem Wirtschaftsministerium umbuchen können", sagte er.

Womöglich könne der Bau schon 2012 beginnen. Das setze nach Worten des Ministers aber eine sogenannte Verpflichtungsermächtigung voraus. Die ermöglicht es, Investitionen einzuplanen, die erst in späteren Haushaltsjahren zu Ausgaben führen. Dabei müsse aber der Landkreis behilflich sein, so Sander. Landrat Manfred Nahrstedt (SPD) ist optimistisch, Mittel aus dem Fonds für Strukturentwicklung des Kreises loseisen zu können. "Die Vorfinanzierung ist zu wuppen", sagte er.

Thomas Zerm, Vorsitzender des Fördervereins Deichbau in Bleckede, ist mit den Vorschlägen des Umweltministers nicht zufrieden. Trotzdem: "Eine schlechte Lösung ist besser als keine." Er warnte davor, das Paket Alt Garge wieder aufzuschnüren: "Es gibt beim Deichbau technische Vorschriften, die eingehalten werden müssen." Würden sie es nicht, "werden wir um Jahre zurückgeworfen".

Keine der Stadtratsfraktionen war begeistert. Dennoch war der Tenor, dass alle an einem Strang ziehen müssten, um das Vorhaben zu verwirklichen. "Weil wir für Alt Garge rasch eine hundertprozentige Deichsicherheit wollen", sagte CDU-Fraktionsvorsitzender Wilhelm Kastens. SPD-Fraktionschefin Angelika Barthels: "Die Menschen haben ein Recht auf den Deich."

SPD-Ratsfrau Birgit Neumann warf dem Minister eine Hinhaltetaktik vor und überreicht ihm eine Liste, auf der 170 Bürger aus Alt Garge für den sofortigen Deichbau unterschrieben hatten. "Wir sind ein Dorf im Notstand. Ich habe kein Bock mehr, mir immer wieder die Frage zu stellen, ob wir das nächste Hochwasser wieder mit Notdeichen und Sandsäcken aufhalten können. Wir brauchen den Deich nicht erst 2012 oder 2013, sondern jetzt", sagte ein Bürger. Ein anderer gab zu bedenken, dass die Baukosten weiter steigen, je später der Bau beginne. Alt Garges Urgestein Dieter Ossenkopp zur Situation: "Ich bin seit 50 Jahren Ortsvorsteher in Alt Garge und hoffe, dass ich alt genug werde, um den Deich noch zu erleben."