Konferenz über den Bergen-Belsen-Prozess vor 65 Jahren mit Zeitzeugen und Historikern im Landgericht

Lüneburg. Inzwischen sind 65 Jahre ins Land gegangen. Aber die Aufarbeitung des Massenmordes während der NS-Zeit ist noch lange nicht beendet. "Solange die Opfer leben, haben sie das Recht zu entscheiden, was wichtig ist", sagte Dr. Rainer Sabelleck am Ende einer zweitägigen Konferenz im Lüneburger Landgericht, die sich mit dem ersten Kriegsverbrecherprozess in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte.

Wissenschaftler und Zeitzeugen diskutierten über den Bergen-Belsen-Prozess (englisch: Belsen Trial), der vom 17. September bis zum 17. November 1945 in Lüneburg, in der 1976 abgerissenen MTV-Turnhalle an der Lindenstraße vor einem britischen Militärgericht, stattfand.

Das Verfahren richtete sich gegen SS-Angehörige des KZ Bergen-Belsen sowie einige Kapos (Häftlinge, die Mitarbeiter der Lagerleitung waren, und andere Häftlinge beaufsichtigten), die von der britischen Armee nach der Übergabe des Konzentrationslagers Mitte April 1945 festgenommen wurden. Es wurden auch Taten mitverhandelt, die Beschuldigte zuvor im KZ Auschwitz-Birkenau verübt hatten. Eine breitere Öffentlichkeit erfuhr dadurch seinerzeit von Selektionen, Gaskammern und Krematorien.

Professor Rainer Schulze von der University of Essex in England sagte am Sonnabend bei der öffentlichen Abschlussveranstaltung der Konferenz vor rund 50 Zuhörern: "In Lüneburg hat mit dem Belsen-Prozess wichtige Geschichte stattgefunden. Zum ersten Mal wurde versucht, über NS-Verbrechen öffentlich Rechenschaft abzulegen, den Massenmord juristisch zu erfassen." Außerdem sei mit dem Prozess versucht worden, den Zivilisationsbruch durch die Nationalsozialisten rückgängig zu machen. Die Lüneburger könnten ein bisschen stolz darauf sein, sagte er: "Doch das Bewusstsein dafür zu schaffen, hat sich noch nicht durchgesetzt."

Diese Einschätzung teilte der Lüneburger Rainer Sabelleck. Die Geschichte des Prozesses aufzuarbeiten, sei von großem Interesse. Auch vor dem Hintergrund, dass ein Dokumentarfilm über das historisch wichtige Ereignis denkbar sei, sagte er. Allerdings sei es schwierig, in Lüneburg Zeitzeugen jener Tage zu finden. "Auf Aufrufe gab es bislang wenig Rückmeldungen. Und wenn, dann nur zögerlich." Es müsse endlich Schluss sein mit dem Schweigen, forderte er und appellierte an den Mut der Zeitzeugen: "Sie haben doch nichts zu befürchten."

In der Stadt sei es nicht so, dass es keine Spuren gäbe, die hilfreich bei der Suche nach Zeitzeugen seien. Und das, obwohl die MTV-Halle als Ort des Prozesses aus dem Stadtbild verschwunden ist. "Es gab in der Stadt Betreuungsheime für ehemalige KZ-Häftlinge und Sammlungen für sie. Deutsche Haushalte wurden aufgerufen, ihnen Wäsche und Kinderspielzeug zur Verfügung zu stellen", sagte Sabelleck. Zudem seien junge Menschen als Prozessbeobachter von den Briten in die MTV-Halle eingeladen worden.

Überdies würde eine lückenlose Liste der Briten über verdächtige Bürgermeister aus der NS-Zeit vorliegen. Doch seien diese Akten auch nach 65 Jahren noch nicht ausgewertet, so Sabelleck. Es gebe noch sehr viel Material zum Aufarbeiten, um nicht mehr nur Zeugen aus den Reihen der Opfer für den Belsen Trial zu haben.

Wie etwa Anita Lasker-Wallfisch (85). Sie ist nicht nur eine Gerichtszeugin, die beim Bergen-Belsen-Prozess aussagte. Sie ist auch ist eine der letzten bekannten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz. Im November 1944 wurde sie mit anderen Mitgliedern des Orchesters nach Bergen-Belsen verlegt, wo sie am 15. April 1945 von alliierten Truppen befreit wurden. Bei der Konferenz in Lüneburg berichtete sie über ihre Erfahrungen während des Militärtribunals, dessen Ablauf aus heutiger Sicht in Ordnung gewesen sei. Damals habe sie die Dinge allerdings komplett anders gesehen.

"Ich war 19 Jahre alt und kam mit den anderen KZ-Häftlingen aus der Hölle." Nie hätten sie und die anderen daran geglaubt, das Konzentrationslager jemals lebend verlassen zu können. Daher hätten sie sich Morde im KZ durch die SS-Schergen auch nicht im Detail gemerkt.

Wochentage hätten keine Rolle gespielt. Anders plötzlich im Prozess, als Fragen danach kamen. "Da saß die ganz Bande: Lagerleiter, Arzt und Kapos. Ich wurde gefragt, ob ich jemals gesehen hätte, ob die Angeklagten gemordet hätten. Bei der Ja-Antwort kam die nächste Frage, die nach dem Wochentag. Das war grotesk." Sie habe damals das Gefühl gehabt, der Prozess sei eine Farce.

"Ich bin wütend geworden. Es war ein Witz, englisches Gerichtswesen anzuwenden. Die Welt wird niemals die Umstände richtig erfassen können, die zum Prozess in Lüneburg geführt hatten. Für das, was passiert ist, reicht Sprache nicht aus." Das Verfahren habe für sie lange einen bitteren Nachgeschmack gehabt. Doch heute sagt sie: "Es hätte gar nicht anders sein können als es zu der Zeit war. Weil plötzlich Ordnung in die Welt kommen musste."