Jedes zweite Unternehmen konstatiert Schwächen der Bewerber in Mathematik und erhebliche Probleme mit der Sprachkompetenz

Lüneburg. Mangelnde Kenntnisse in Deutsch und Mathematik, fehlende Disziplin, geringe Belastbarkeit - die Wirtschaft hält jeden fünften Schulabsolventen für ausbildungsungeeignet. So lautet das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 15 000 Unternehmen.

Diese Probleme sieht auch Christian Steffens, Geschäftsführer des Heizungs- und Sanitärtechnikbetriebs Schneider & Steffens in Lüneburg. Die Erfahrungen mit den Auszubildenden der Vorjahre veranlassen den Unternehmer zu einem harten Urteil: "Die schulischen Vorkenntnisse der Hauptschüler haben sich nicht nur kontinuierlich verschlechtert - sie sind mittlerweile überwiegend katastrophal." Unter zehn im Betrieb ausgebildeten Lehrlingen sei lediglich einer, den das Unternehmen gerne weiter beschäftige. "Viele Hauptschüler wollen nicht arbeiten, ihnen fehlt die Ernsthaftigkeit", so Steffens, der nach dem Abitur selbst eine Ausbildung zum Zentralheizungs-Lüftungsbauer absolvierte.

Noch deutlichere Worte für den Missstand findet Hermann Daerner, der ehemalige Leiter der Hauptschule am Schiffshebewerk in Scharnebeck: "Die Schüler sind praktisch ausschließlich auf Freizeit programmiert - das ist die falsche Einstellung. Da fehlt ganz viel. " Zudem seien Mängel an grundlegenden Fähigkeiten wie dem Sinn erfassenden Lesen und den mathematischen Kenntnissen augenfällig. Diese Feststellung deckt sich mit der DIHT-Umfrage, nach der jeder zweite Betrieb über Schwächen der Auszubildenden in Mathematik klagt, und sogar 54 Prozent der Unternehmen Probleme mit deren Sprachkompetenz festgestellt haben.

Hinzu komme die Disziplinlosigkeit der Schüler, die Lehrbetrieben die Ausbildung erschwere: Tugenden wie regelmäßiges Aufstehen, Pünktlichkeit und Leistungsbereitschaft seien nicht mehr selbstverständlich, so Daerner.

Diese Erkenntnisse in Verbindung mit den aktuellen Zahlen der Agentur für Arbeit in Lüneburg lassen den Schluss zu: Nicht die Lehrstellen sind knapp, sondern geeignete Bewerber.

Von den 947 im Oktober 2009 gemeldeten Ausbildungsstellen in Stadt und Landkreis Lüneburg waren im Juli 2010 noch 220 unbesetzt. "Das sind zehn Prozent mehr als im vergangenen Jahr", bestätigt Susanne Knuth, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Lüneburg. Im gleichen Zeitraum suchten 996 Bewerber einen Ausbildungsplatz, von denen 308 im Juli noch immer ohne Lehrvertrag waren - 15 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.

"Oft können die Jugendlichen die Erwartungen der Betriebe nicht erfüllen", so Knuth. Laut DIHT-Umfrage organisiert inzwischen mehr als jeder zweite Betrieb in irgendeiner Form Nachhilfe im eigenen Unternehmen, damit die Jugendlichen den Anforderungen der Ausbildung gerecht werden.

Dabei erwartet niemand Superlehrlinge, meint Christian Steffens. Im Gegenteil: Schwächere Auszubildende werden nicht aussortiert. Sie bleiben, bis die Lehre bestanden ist, selbst wenn dazu ein zweiter oder dritter Anlauf notwendig sein sollte. "Wir tragen schließlich Verantwortung und wollen qualifizierte Mitarbeiter"

Aber es gibt auch gute Nachrichten: "Hier im Landkreis Lüneburg ist eine außerordentlich positive Tendenz festzustellen", sagt Volker Linde, Leiter des Geschäftsbereichs Aus- und Weiterbildung der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg. "Am 31. Juli 2010 haben wir insgesamt 546 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge verzeichnet, im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Steigerung von beinahe zehn Prozent."

Von einer noch deutlicheren Verbesserung kann Günter Neumann von der Handwerkskammer Lüneburg berichten: "Wir konnten Ende Juli 229 abgeschlossene Ausbildungsverträge bilanzieren - das sind 73 mehr als im Vorjahr". Grund für diesen hohen Zuwachs seien zwei Faktoren: Die Hoffnung auf eine Besserung der Konjunktur, aber auch der zu erwartende Einbruch der Schulabsolventenzahlen in den Jahren 2014 und 2015, der die Betriebe zu einer vorausschauenden Personalplanung zwinge.

Dieser positive Trend hin zu mehr Ausbildungsplätzen steht im klaren Gegensatz zum Ergebnis des Berufsbildungsberichtes 2010, dem zufolge jeder fünfte Schulabsolvent aufgrund mangelnder schulischer Qualifikation nicht ausbildungsfähig sei.

Diese Annahme sei allerdings nicht neu, so Linde. Oft liege das Problem nicht in der mangelnden Befähigung, sondern in den falschen Vorstellungen der Absolventen: "Es gibt da ein Matching-Problem. Viele junge Menschen sind zu stark auf einen Wunschberuf fixiert, der nicht ihren Fähigkeiten entspricht." Hier sei es wichtig, die eigenen Qualifikationen so realistisch wie möglich einzuschätzen und dementsprechend zu entscheiden.

Auch Neumann ist dieser Ansicht: "Besonders gute Chancen kann sich jeder ausrechnen, der seine eigenen Qualitäten in den Mittelpunkt des Berufswunsches stellt und flexibel auf die Betriebe zugeht." Dabei sei auch eine gewisse regionale Mobilität unabdingbar.

Im Übrigen liege auf der Hand, dass unentschuldigte Fehlzeiten aus der Schulzeit einem guten Eindruck abträglich seien. Schüler wie Eltern sollten sich darüber klar sein, wie entscheidend dies für den Ausgang einer Bewerbung und die berufliche Zukunft sein könne. Mit einem Augenzwinkern fügt Günter Neumann noch hinzu: "Wir hätten es natürlich schon gerne, wenn die Schulabsolventen Pythagoras nicht für einen griechischen Volkssänger halten".