Interview mit Steffi Lemke, Bundesgeschäftsführerin der Grünen, die ein Management für die regionale Energieversorgung fordert

Lüneburg. Steffi Lemke, politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, stellt heute Abend auf Einladung der Stadtratsfraktion eine Studie des Bundesvorstandes zum grünen Wählerpotenzial vor. Vorab sprach sie im Interview mit der Lüneburger Rundschau über Probleme, die die Menschen in Stadt und Landkreis bewegen. So glaubt sie etwa, dass beim Bau der umstrittenen A 39 das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Die Aufklärung der Kinderleukämie in der Elbmarsch bezeichnet Lemke als "Krieg der Gutachter". Und in der rasant steigenden Zahl der Biogasanlagen sieht sie nicht nur Vorteile für die Energiewende, sondern auch Nachteile für die Bevölkerung.

Lüneburger Rundschau:

Ist der Trend zu einer industriellen Landwirtschaft mit dem Betrieb von Agrarfabriken noch zu stoppen, wenn jetzt schon die Landwirtschaftskammer Niedersachsen an der Lehr- und Versuchsanstalt für Tierhaltung in Echem einen riesigen Schweinestall mit 250 Zuchtsauen und vielen hundert Schweinen für die Ausbildung der jungen Landwirte plant?

Steffi Lemke:

Der Trend zur immer stärkeren Industrialisierung der Landwirtschaft muss und wird gestoppt werden. Die Agrarlogik des letzten Jahrhunderts - immer mehr und immer industrieller, ohne Rücksicht auf Böden, Klima und Tiere, ist nicht nachhaltig. Als ich vor 25 Jahren meine Ausbildung zur Melkerin gemacht habe, habe ich in solchen Agrarfabriken gearbeitet. Inzwischen hat sich das Bild einer nachhaltigen Landwirtschaft sehr verändert. Kein Wunder, wenn man mit Frau Grotelüschen jemanden zur Agrarministerin macht, die selbst Massentierhaltung betreibt. Da hat man den Bock zum Gärtner gemacht. 2013 wird die Europäische Agrarpolitik reformiert, da müssen wir dafür sorgen, dass umweltverträgliche Landwirtschaft gestärkt wird.

Auch im Landkreis Lüneburg schießen Biogasanlagen wie Pilze aus dem Boden. Ist diese Entwicklung gut?

Grundsätzlich begrüßen wir natürlich, dass Erneuerbare Energien, zu denen Biogasanlagen gehören, ein immer stärkeres Gewicht im Energiemix bekommen. Die Energiequellen der Zukunft sind nun mal erneuerbar und nicht Kohle und Atom. Aber ich weiß, dass es mit der hohen Anzahl an Biogasanlagen auch Probleme geben kann. Auch hier ist zu viel des Guten schlecht.

Die Ablehnung in der Bevölkerung wächst. Gründe sind die "Vermaisung" der Landschaft und Geruchsbelästigungen in der Nachbarschaft von Biogasanlagen. Was muss getan werden, um die Bürger gegebenenfalls besser zu schützen und sie von den Vorteilen der Biogasanlagen zu überzeugen?

Man muss vor allem mit der Bevölkerung und nicht gegen sie eine Lösung suchen. Diese hohe Anzahl an Biogasanlagen ist oft auch Folge einer vorher schon verfehlten Agrarpolitik. Wo es einen hohen Anteil an Massentierhaltung gibt, fällt auch sehr viel Gülle an - die wiederum in den Biogasanlagen verarbeitet wird. Was wir brauchen, ist ein vernünftiges Management der regionalen Energieversorgung insgesamt. Das könnte über regionale Energieagenturen funktionieren, oder über Landesentwicklungspläne. Und was die Vermaisung anbetrifft: Monokulturen sind grundsätzlich nicht zielführend. Deshalb wollen wir bei der Novelle des Erneuerbaren Energien Gesetz zum Beispiel auch eine Bio-Energie-Fruchtfolge festschreiben lassen, damit es eben nicht zu solchen Auswüchsen kommt.

Ist es richtig, dass Gärsubstrate aus gewerblichen Biogasanlagen, in denen Lebensmittelreste und Reste aus der Lebensmittelproduktion vergärt werden, in Dörfern zwischengelagert werden, wie zuletzt in dem Ort Lüdershausen?

Unerträglicher Gestank ist sicher nicht zu dulden. Da muss die Frage gestellt werden, ob diese Lagerstätten emissionsschutzrechtlich auch wirklich im Vorfeld geprüft wurden. Hier müsste der Landkreis aktiv werden und entsprechende Vorgaben machen. Aber so etwas führt natürlich dazu, dass eine grundsätzlich sehr sinnvolle Art der Energieerzeugung in Misskredit gerät.

Ist das Substrat aus solchen gewerblich betriebenen Anlagen wirklich wertvoller Dünger für die Äcker?

Grundsätzlich ja. Es ist immer besser, Abfallprodukte zu Dünger aufzubereiten, anstatt zum Beispiel Stickstoffdünger durch Verwendung von Erdöl künstlich zu erzeugen.

Wird die Autobahn 39 Wolfsburg-Lüneburg, die die Grünen ablehnen, gebaut?

Wenn es nach den Grünen geht, wird diese Autobahn nicht gebaut. Aber das Land Niedersachsen und auch der Bund haben das offensichtlich vor. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Im Herbst wird die Bundesregierung einen Plan vorlegen, welche Projekte noch bis 2015 auf den Weg gebracht werden sollen. Und wir werden uns dafür stark machen, dass die A 39 nicht dazu gehört. Dieses Projekt ist nicht nur aus haushaltspolitischer Sicht falsch, sondern vor allem aus verkehrspolitischer und ökologischer. Cleverer wäre es, den Lkw-Verkehr, um den es hier schwerpunktmäßig geht, auf die Schiene zu verlagern und das zu finanzieren.

Seit 1989 sind 19 Kinder und Jugendliche in der Elbmarsch rund um das Atomkraftwerk Krümmel und den GKSS-Forschungsreaktor in Geesthacht an Blutkrebs erkrankt. Wie lange wird die Aufklärung der weltweit höchsten Leukämierate bei Kindern noch dauern?

Ob wir je zu einer wirklichen Aufklärung dieser furchtbaren Erkrankungen kommen, ist nicht abzusehen. Aber die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Hier gibt es den leidigen Krieg der Gutachten - es findet sich immer ein Gutachter, der das Gegenteil behauptet.

Ist dieses Thema in Berlin überhaupt bekannt?

Ja, natürlich. Wir Grünen haben dazu Anfragen im Bundestag gestellt, immer wieder auf Aufklärung gedrungen. Auch in Berlin kann daher niemand sagen, er wisse davon nichts.

Was tun die Grünen im Bundestag, um die Aufklärung voranzutreiben?

Wir haben im vergangenen Jahr dazu die weltweit umfassendste Studie zum Leukämie-Risiko im Umfeld von Atomkraftwerken vorgelegt. Wir kämpfen weiter dafür, dass Krümmel nie wieder ans Netz geht, und dass neben Krümmel auch alle anderen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Atomkraftwerk mit den Leukämiefällen in Zusammenhang steht, empfinde ich es als puren Zynismus, Krümmel weiter betreiben zu wollen.