Chefärztin Dr. Angela Schürmann will Hemmschwellen abbauen und Angebote vernetzen

Lüneburg. Die Hemmschwellen in der Bevölkerung abbauen und den Patienten gut vernetzte und möglichst wohnortnahe Therapien anbieten - das ist die Zukunftsperspektive der Lüneburger Psychiatrie. Dr. Angela Schürmann bringt 30 Jahre Berufserfahrung, Kompetenz und Optimismus mit an ihren neuen Arbeitsplatz. Die 56 Jahre alte Mutter von zwei erwachsenen Kindern ist seit Anfang Mai Chefärztin der Psychiatrischen Klinik I, die Anlaufstelle für erwachsene Patienten aus Stadt und Landkreis Lüneburg ist.

Ihre Menschlichkeit hat sich die Psychiaterin sichtlich bewahrt. Mit Neugier und neuen Ideen geht sie die anspruchsvolle Aufgabe an. Viele Gespräche hat die gebürtige Schleswig-Holsteinerin, die aus Lübeck nach Lüneburg kam, schon mit Verbänden, Organisationen, städtischen Einrichtungen und mit ihren mehr als 100 Mitarbeitern geführt. Wichtig sind ihr Teamarbeit, enge Kontakte, der Gedanken- und Informationsaustausch mit allen Akteuren in der psychosozialen Versorgung und eine optimale Vernetzung der Angebote für die Patienten.

Obwohl sich das Image und die Bedingungen der Psychiatrie in Deutschland seit den 1970er-Jahren deutlich verbessert haben, sind nach wie vor Vorbehalte zu spüren, hat Dr. Schürmann festgestellt. Nicht nur in der Bevölkerung gebe es Hemmschwellen, sogar unter Kollegen anderer medizinischer Fachrichtungen werde die Psychiatrie gelegentlich schief angesehen.

Dieses Problem will die engagierte neue Chefärztin, die in ihrer Freizeit gern wandert, offensiv angehen. Die Psychiatrische Klinik, deren Gelände mit seiner idyllischen Parklandschaft und dem alten Baumbestand ohnehin den Bürgern für Spaziergänge und zur Erholung offen steht, soll sich noch weiter öffnen. Für Veranstaltungen, Feste und Tagungen bietet sich das alte Gesellschaftshaus mit seinem vor einigen Jahren restaurierten großen Saal an. Außerdem wird noch in diesem Jahr eine Kindertagesstätte auf dem Klinikgelände eröffnet (siehe Info-Kasten).

Raus aus der Isolation ist das Motto. So soll auch der Trend zu möglichst wohnortnahen Therapie- und Betreuungsangeboten fortgesetzt werden. "Ambulante Dienste, Tageskliniken, Wohngruppen - das gab es vor 30 Jahren alles nicht." Neben der Arbeit mit Patienten widmete sich Angela Schürmann auch organisatorischen Prozessen und dem Aufbau neuer Strukturen in der Psychiatrie. So baute sie 1983 in Schleswig-Holstein die erste psychiatrische Tagesklinik mit auf. Später war sie wesentlich an der Gestaltung des Modernisierungs- und Umstrukturierungsprozesses eines ehemaligen Landeskrankenhauses im Lübecker Raum beteiligt.

Eine ähnliche Situation bietet sich nun in Lüneburg. Im Zuge der Privatisierung der niedersächsischen Landeskrankenhäuser übernahm die Stadt 2007 die Psychiatrische Klinik und damit die Verantwortung für die Behandlung und Betreuung der betroffenen Menschen - "das hat mir imponiert", sagt Dr. Schürmann.

"Den ganzen Menschen sehen und nicht nur sein körperliches Leiden" - das sei von Anfang an eine Triebfeder ihrer Tätigkeit und der Grund für die Berufsentscheidung gewesen. Schließlich könne jeder in die Situation kommen, "dass es nicht mehr geht". Dass der Alltag nicht mehr bewältigt werde, dass Beruf, Haushalt oder Familie unüberwindbare Probleme mit sich bringen. Die Ursachen für psychische Erkrankungen seien vielfältig. Das könnten organische Auslöser sein, Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit, schwere Schicksalsschläge.

Deshalb sei es auch so wichtig, eine enge Verknüpfung zwischen psychischer und körperlicher Diagnose und Therapie herzustellen und die Lebenssituation und -geschichte der Betroffenen zu betrachten. Es gelte, das herauszufinden, "was belastend wirkt, um ein Stück Leid zu lindern". Psychisch Kranke müssten außerdem "gleichberechtigt" mit anderen Patienten behandelt und rundum gut versorgt werden. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Klinik beträgt dreieinhalb Wochen, doch danach sind die meisten weiter auf Hilfe angewiesen.

Für ihre neue Tätigkeit sei es wichtig, "eine Idee davon zu haben, was Patienten brauchen". Bewährt hätten sich eine gute Zusammenarbeit zwischen allen Trägern der psychosozialen Versorgung und dezentrale Angebote im Wohnumfeld des Erkrankten - das reicht bis zur Planung für die Zeit nach der Entlassung. "Dieser Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen, es ist unglaublich viel Entwicklung hier."

Eine Absage erteilt die neue Chefärztin einer allzu weitreichenden Spezialisierung: Während manch andere Klinik nur für Borderline-, Demenz- oder Suchtkranke da sei, werde Lüneburg auch weiterhin eine Anlaufstelle für alle psychisch Kranken sein - ohne lange Wartelisten und mit Akutversorgung auch an Wochenenden, nachts und an Feiertagen.