Im Kunstunterricht wurden Achtklässler aus Scharnebeck als Modedesigner aktiv und machten Arbeitskleidung salonfähig.

Lüneburg. Eigentlich ist es die Arbeitskluft von Malern, Elektrikern oder Verkäufern: Kittel und Latzhosen aus grobem Stoff. Diese, vor allem am praktischen Nutzwert ausgerichtete Kleidung salonfähig zu machen, war der Auftrag an 30 Realschüler aus Scharnebeck. Mit Abnähern, Rüschen oder beherzten Schnitten mit der Schere haben sie im Kunstunterricht ganz neue Modelle hergestellt.

Unterstützt wurden die Jugendlichen von drei Kunstvermittlerinnen aus dem Kunstraum Tosterglope. Sie hatten auch die Idee, Berufskleidung in Alltagsmode zu transformieren. "Ausgegangen sind wir von Haut als Verbindung von Innen und Außen. Um Mode kommt man da nicht herum", sagt Kunstvermittlerin Brita Kärner. Die Idee war, aus Uniformen einzigartige Kleidungsstücke zu machen. Denn Berufskleidung sei weder negativ noch positiv in den Köpfen der Schüler besetzt. Die Frage war nur: Woher die Ausgangskleidung nehmen? "Die Kleidung aus dem Second-Hand-Laden zu holen, haben wir schnell wieder verworfen. Wir befürchteten, dass die Schüler Hemmungen bei gebrauchter Kleidung haben könnten", so Brita Kärner.

Darum habe das Team Thomas Perczynski vom Berufsbekleider Marwitz angesprochen. Der fand das Projekt spannend. "Berufskleidung ist in vielen Bereichen inzwischen sehr modisch geworden. Was die Schüler daraus machen, hat mich interessiert", sagt er. 50 Teile, vor allem Kittel und Overalls haben sich die Kunstvermittlerinnen aus dem Lager des Berufsbekleiders ausgesucht.

Dann durften die Schüler kreativ werden. Unterstützt wurden sie von einer Modedesignerin und vier Frauen vom Seniorenkreis Scharnebeck. "So verbindet das Projekt auch Generationen", sagt Marwitz-Geschäftsführer Thomas Perczynski. Die Frauen haben den Schülern den Umgang mit Nadel und Faden gezeigt. "Die Defizite im Handarbeiten waren erschreckend", sagt Brita Kärner. Hilflos seien ihr die Schüler vorgekommen. "Wenige hatten Textilunterricht, viele haben nie Nähen gelernt. Die Voraussetzungen waren komplett unterschiedlich", sagt die 65-jährige Künstlerin.

Für den 14-jährigen Liam Böhnke war es das erste Mal mit Nadel und Faden. "Ich fand es schwer. Besonders meinen großen Kragen anzunähen war eine Herausforderung", sagt er. Kunstvermittlerin Brita Kärner sieht Potenzial bei Liam: "Er hat sich sehr geschickt angestellt. Das Problem bei den Jungen ist, dass sie sich nicht trauen, ihre Werke vorzuführen." Viele Jungen hätten mitgearbeitet, allerdings hätten sich nur zwei zu den Vorführungen getraut. "Da muss viel Scham überwunden werden", sagt Brita Kärner. Bei den Mädchen sei das anders. Das ist auch Thomas Perczynski aufgefallen. "Wir sind öfter bei Modenschauen auf denen Berufskleidung gezeigt wird. Einige Mädchen könnten da ohne weiteres mitlaufen", glaubt er.

Tatsächlich war für viele Mädchen nicht der Schaffensprozess, sondern die Vorführung das Beste am Projekt. "Ich bin zwar stolz, dass ich es geschafft habe Klamotten selber zu nähen, aber am besten hat mir das Vorführen gefallen", sagt Viktorija Sinjavskaja. Das findet auch Jennifer Behse. "Ich war zwar nur Assistentin, habe beim Anziehen geholfen, trotzdem habe ich mich am meisten auf die Vorführungen gefreut. Erst dann sieht man doch das Ergebnis", sagt die 14-Jährige. "Man merkt, dass sich die Mädchen durch mehr Übung öffnen, auch die Jungs werden entschlossener", beobachtet Brita Kärner.

Im Kunstunterricht haben die Kunstvermittlerinnen den Achtklässlern nicht sofort die Kleidung zum Ändern gegeben. "In der ersten Stunde haben wir besonders große Overalls genommen und sie mit Schaumstoff ausgepolstert um die Silhouette zu verändern", sagt die Künstlerin Jutta Brüning. In der zweiten Stunde hätten die Schüler mit Nadel und Faden die Kleidung enger machen können, erst danach hätten die Kunstvermittler Scheren mitgebracht. "Ich hätte nicht erwartet, dass die Schüler soviel Lust haben, kreativ zu sein", sagt Jutta Brüning.

Nicht nur den Marwitz-Mitarbeitern, sondern auch dem Landschaftsverband in Hannover haben die Jugendlichen ihre Designer-Berufskleidung in einer Modenschau präsentiert. Zu Pfingsten sollen sie außerdem im Kunstraum Tosterglope auftreten. Dann soll eine weitere Schülergruppe die Vorführung musikalisch untermalen. Sie haben aus Alltagsgeräuschen, wie dem Rattern von Nähmaschinen Musik gemacht.