Familie Grimm ist empört, dass die Förderschule geschlossen werden soll. Viele Eltern sind deshalb um die Zukunft ihrer Kinder besorgt.

Boltersen. "Es war die Hölle." Wenn Liane und Mathias Grimm von der Zeit vor ihrem Umzug von Hamburg-Niendorf nach Boltersen im vergangenen Jahr erzählen, sind sie leise und nachdenklich. Zu schlecht ging es ihrem Sohn damals, der in seiner motorischen und körperlichen Entwicklung beeinträchtigt ist. Viel besser geht es ihm heute, seitdem er am Unterricht der Förderschule An der Schaperdrift in Lüneburg teilnimmt. "Wir sind dem guten Ruf der Schule gefolgt, haben unsere Eigentumswohnung in Hamburg und unsere festen Jobs aufgegeben, damit unser Sohn in Lüneburg zur Schule gehen kann", sagen sie.

Familie Grimm steht mit diesem Schritt nicht allein. Die Förderschule in Oedeme hat einen guten Ruf weit über die Kreisgrenzen hinaus. Umso größer ist die Sorge vieler Eltern um die Zukunft ihrer Kinder, wenn die Schule An der Schaperdrift schließen muss. Wie berichtet, soll das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung unter dem Stichwort Inklusion der Regelfall werden. Dazu verpflichtet eine UN-Konvention. So werden Förderschulen überflüssig, die seit Jahrzehnten Kinder mit Lernproblemen aufnehmen. An der Schaperdrift sollen bereits ab dem Schuljahr 2012/2013 keine weiteren Erstklässler aufgenommen werden. Stattdessen will der Kreis als Träger der Schule gemeinsam mit der Stadt Lüneburg ein Förderzentrum an der Johannes-Rabeler-Schule einrichten.

Das empört Liane Grimm, die viel über die positiven Veränderungen ihres Sohnes zu erzählen weiß, seit er in Lüneburg die Förderschule besucht. Der Zwölfjährige benötigt besondere Zuwendung und Förderung im Schulunterricht.

Die ersten vier Jahre nach der Einschulung verbrachte er an einer Schule für Körperbehinderte in Hamburg. "Aber mit zehn Jahren war er dort nicht mehr gut aufgehoben, weil er unterfordert war. Seine Lehrerin meinte, er müsse lernen, sich durchzuboxen", sagen die Eltern. Und so wechselte der Junge an eine Gesamtschule und ging gnadenlos unter. "Er und ein anderes Kind waren die einzigen Schüler mit Beeinträchtigungen in der neuen Klasse mit 26 Jungen und Mädchen. Plötzlich sollte er sich in einer so großen Gruppe durchsetzen, wo er doch die Jahre vorher in viel kleineren Klassen mit nur elf Schülern unterrichtet wurde." Es habe nur einen Lehrer mit zehn Wochenstunden für gleich mehrere Klassen an der Gesamtschule gegeben, der zum Förderpädagogen ausgebildet war. "Der Lehrer in der Klasse unseres Sohnes hatte die spezielle Ausbildung nicht." Eine Förderung fand nicht statt. Der Zwölfjährige kam nicht klar.

Seine Eltern berichten, er sei noch verschlossener als ohnehin schon geworden, habe nur noch geschrien und geweint. "Er war am Boden zerstört." Und als ob das nicht genug wäre, wurde er als Schwacher auch zum Spielball der anderen, wie es Liane und Mathias Grimm formulieren. "Es gab Gewalt. Er kam oft mit blauen und grünen Flecken am Körper nach Hause. Andere Kinder schubsten ihn immer wieder ins Gebüsch", erzählen sie.

+++ Krach um die Inklusion von Förderschülern +++

Mutter und Vater konnten den Sohn nicht länger leiden sehen. Sie beschlossen, alles in Hamburg zurückzulassen und ein neues Leben im Landkreis Lüneburg zu beginnen. "Wir haben Verwandte in Lüneburg und Bardowick. Von denen hatten wir von der Förderschule An der Schaperdrift und deren Konzept gehört. Ich recherchierte im Internet und führte ein Gespräch mit der Schulleitung", sagt Mathias Grimm. Am Ende entschlossen sich Grimms, den Sohn in die Obhut der Lehrer in Oedeme zu geben.

"Das war richtig. Der Erfolg gibt uns recht." Ihr Junge sei schon nach kurzer Zeit wie verwandelt gewesen. Ein anderer Mensch. "Er hat Spaß am Lernen und brachte unlängst ein tolles Zeugnis mit lauter Zweien nach Hause", berichtet der stolze Vater. Schon morgens warte der Sohn ungeduldig auf den Bus, um schnell in die Schule zu kommen. Er sei ehrgeizig geworden, mache sogar gern Hausaufgaben. "Als er vor ein paar Monaten auf die Förderschule kam, konnte er nicht schwimmen. Mittlerweile hat er sein Schwimmabzeichen gemacht", so der Vater.

Auch seine Persönlichkeit habe sich zum Positiven verändert, meint Liane Grimm. "Er ist nun mal ein Einzelgänger. Er kann nicht anders, da hilft auch keine Therapie, das müssen wir respektieren. Allerdings ist er an der neuen Schule offener geworden und hat auch schon gelernt, auf andere Menschen zuzugehen."

Sie und ihr Mann sind froh, den mutigen Schritt gemacht zu haben, die alte Existenz aufgegeben und einen Neustart zum Wohle ihres Kindes gewagt zu haben. "Wir bereuen nichts." Seit ein paar Tagen hat Mathias Grimm wieder einen Job. Noch auf der Suche ist Liane Grimm, die gern wieder als Altenpflegerin arbeiten würde, wenn sich ein Arbeitgeber fände, der es akzeptiert, dass sie nur eingeschränkt als Halbtagskraft einsetzbar ist.

Familie Grimm ist froh, dass ihr Sohn von der Schließung der Schule An der Schaperdrift nicht mehr betroffen sein wird. Umso mehr setzen sie sich dafür ein, dass die Schule auch für nachfolgende Schülergenerationen als Lernort erhalten bleibt.

"Inklusion ist eine hübsche Theorie. Mehr aber nicht. Es fehlen sehr viele Fachkräfte und Räume, um sie zu realisieren. Das alles kostet eine Unmenge an Geld, und daran wird es scheitern", sagt Mathias Grimm. Und seine Frau ergänzt: "Ich finde nach allen Erfahrungen, die wir gemacht haben, das System der Förderschulen, so wie es ist, am besten. Weil die Kinder glücklich sind." Förderschulen grenzten Mädchen und Jungen mit Beeinträchtigungen nicht aus, vielmehr seien sie die perfekte Förderung im Übergang in ein späteres normales Leben, sagt sie.

Liane und Mathias Grimm wollen es anderen Eltern und deren Kindern ersparen, die gleichen schlimmen Erfahrungen zu machen, die ihrem Sohn an der Schule in Hamburg widerfahren sind. "Deshalb muss die Förderschule bleiben. Vor allem aus Respekt vor den Kindern." Sie fragen sich, ob den kommunalpolitischen Entscheidern wie etwa Landrat Manfred Nahrstedt überhaupt die Lebensgeschichten und der Alltag der Kinder bekannt sind. "Wir laden den Landrat gern ein, damit er einmal eine Woche unser Familienleben kennenlernt."