Fristlose Kündigung für die Bewohner in der Frommestraße Nummer 4. Sie befürchten den Abriss. Haus senkt sich jährlich um 13 Zentimeter.

Lüneburg. "Fristlos gekündigt - grundlos - sinnlos - drangsaliert" haben die Bewohner des Hauses Nummer 4 an der Frommestraße mit Kreide auf ihre Gartenmauer geschrieben. Bereits bei der Ratssitzung im vergangenen Dezember, zu der die Grünen den Eigentümer des Hauses, Jürgen Sallier, eingeladen hatten, hatte der Investor erklärt, das Gebäude sei nicht mehr zu retten und müsse abgerissen werden. Nun haben die Bewohner des Hauses die fristlose Kündigung erhalten.

Aus ihrer Sicht kam das überraschend. "Wir hatten eine Vereinbarung mit Herrn Sallier, wonach zunächst ein von uns beauftragter Statiker ein Gutachten anfertigen sollte", sagt eine Bewohnerin. Die Bewohner möchten ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Der fristlosen Kündigung sei eine Vereinbarung angefügt gewesen. Wenn die Mieter der Kündigung zustimmten, werde ein Statiker beauftragt, der die Standsicherheit des Hauses überprüfen solle. "Das ist widersprüchlich, wir wollten den Statiker, um zu überprüfen, ob die Standsicherheit wirklich nicht mehr gegeben ist", sagt sie.

Zuletzt hatte die Stadt ein Gutachten in Auftrag gegeben. Darin stellte ein Hamburger Statikerbüro fest, dass sich das Haus 13 Zentimeter pro Jahr senkt. Acht bis zwölf Jahre werde es noch sicher stehen. Voraussetzung seien jedoch Sanierungsmaßnahmen am Haus. Jürgen Sallier hatte in der Ratssitzung gesagt, diese Maßnahmen würden unverhältnismäßig teuer werden.

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Die Bewohner dagegen werfen dem Investor vor, einen Sanierungsstau verursacht zu haben. "Seit Sallier das Haus 2010 gekauft hat, wurden nur kleinere Reparaturen durchgeführt. Wir schlagen vor, das Haus mit den Miteinnahmen zu sanieren", sagt einer von ihnen. Bereits seit einigen Monaten fordere der Vermieter keine Miete mehr. Die würde jedoch trotzdem bezahlt. "Wir sehen das Haus nicht als einsturzgefährdet an, darum bezahlen wir weiter die Miete", sagt der Bewohner. Jürgen Sallier wollte sich dazu gegenüber dem Abendblatt nicht äußern.

Selbst wenn die Mieter keine Miete mehr zahlen würden, setzt sich das Mietverhältnis laut der Lüneburger Rechtsanwältin Silke Jaspert fort. "Die fristlose Kündigung in diesem Fall ist eine Ausnahme, da sie aus Gründen der Gefährdung, wenn das Haus tatsächlich baufällig ist, ausgesprochen wurde", sagt Silke Jaspert. Sie ist auf Mietrecht spezialisiert.

Würden die Mieter die Kündigung nicht anerkennen, so müsse eine Räumungsklage erhoben werden. Erst wenn diese erfolgreich sei, könne ein Gerichtsvollzieher die Wohnungen räumen. "Das Verfahren kann sich über Monate hinziehen. Allerdings kann der Vermieter in diesem Fall mit seiner Schutzpflicht argumentieren. Baufälliger Wohnraum darf nicht zur Vermietung freigegeben werden", sagt Silke Jaspert.

Laut den Bewohnern hat ihnen der Vermieter zwei Drei-Zimmer-Wohnungen als Alternative angeboten, das reiche nicht für 20 Personen. Zudem hätten sie mit den Bewohnern des Nachbarhauses, Hausnummer 5, eine Gemeinschaft gegründet. "Entweder wir gehen geschlossen oder gar nicht", fasst ein Bewohner zusammen. Der Besitzer von Haus Nummer 5 sei insolvent, es werde demnächst zwangsversteigert.

Eine Alternative für rund 50 Personen fordern sie also von Jürgen Sallier oder der Stadt. Derzeit warteten die Bewohner des Hauses Nummer 5 auf die Ergebnisse der Begehung durch die Stadt. Auch die Bodenerkundung mit Mehrstangenextensometern in der Frommestraße ist abgeschlossen. Spezielle Sonden haben bis zu 110 Meter tief den Untergrund untersucht und Hohlräume geortet. "Die Ergebnisse sollen in einer Woche vorliegen", sagt Stadtsprecherin Suzanne Moenck. Zur Durchfahrt werde die Frommestraße jedoch vorerst nicht wieder freigegeben. "Auch durch die Messungen sind in der Straße einfach zu viele Dellen und Löcher."

Selbst wenn die Messungen den Abriss des Hauses Nummer 4 zur Folge haben, kann sich der Lüneburger Architekt Heinz Meyer nicht vorstellen, dass dort wirtschaftlich ein neues Gebäude entstehen könnte. Sein Architekturbüro, Meyer Arc, hat in den 70er-Jahren Häuser in der Altstadt errichtet. Trotzdem sagt er: "Es gibt Stellen in Lüneburg, da sollte man nicht bauen, weil man die Senkungsgeschwindigkeit nicht lange voraussagen kann." Dazu gehöre die Frommestraße.

Möglichkeiten, ein standsicheres Haus zu bauen gebe es, doch seien die sehr teuer. "Große Kastenfundamente, die einzeln die Senkung und Erdfälle aufnehmen, sind eine Möglichkeit. Doch diese Investition kann kaum wieder durch Mieteinnahmen hereinkommen", sagt Meyer. Zudem müssten trotzdem immer wieder Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden.

Die Bewohner der Frommestraße glauben, dass die Senkungsproblematik nur vorgeschoben ist. "Es geht gar nicht um die Senkung und Sicherungsmaßnahmen. Das ist eine Argumentation, um Menschen zu vertreiben und an deren Stelle solventere Mieter zu holen."