Extrem warmer Winter weckt Tiere und Pflanzen aus Winterschlaf. Extrem viele Mücken, Zecken und Bienen im Sommer erwartet.

Lüneburg. Leise rieselt der Schnee, still und starr ruht die Natur. So sollte es eigentlich sein, Anfang Januar, in Deutschland. Stattdessen blühen Gänseblümchen, Schneeglöckchen und Haselsträucher, Amseln und Meisen zwitschern und balzen. Kraniche, Gänse und Störche wissen nicht mehr, wohin fliegen und besiedeln bereits ihre Brutplätze. Und diejenigen, die eigentlich ruhen oder gar schlafen sollten, beispielsweise Eichhörnchen oder Fledermäuse, bekommen kein Auge zu. Kurz: Der ungewöhnlich warme Winter hat die Natur aus dem Rhythmus gebracht. Es grünt und blüht, es kreucht und fleucht allerorten.

"Das ist kein auch nur annähernd normaler Verlauf", bestätigt Henning Kaiser, der beim Biosphärenreservat Elbtalaue für den Artenschutz zuständig ist. Kritisch sei die Lage für die meisten Tiere und Pflanzen allerdings nicht. Eng könnte es aber für einige Winterschläfer werden. Vor allem die Fledermäuse machen Kaiser Sorgen: "Die werden arg in Mitleidenschaft gezogen."

Und das aus zweierlei Gründen. Zum einen wirke sich der extrem trockene und warme November nun negativ aus. "Fledermäuse brauchen frostfreie, zugfreie Schlafplätze, an denen eine gewisse Luftfeuchtigkeit herrscht. Die ist aber wegen des ausgetrockneten Erdreichs nicht gegeben, und das macht den Fledermäusen Probleme." Weil es außerdem insgesamt auch viel zu warm sei, wachen immer mehr Fledermäuse aus dem Winterschlaf, der so genannten Dormanzphase, auf. "Und dann brauchen sie etwas zu fressen. Es gibt zwar zurzeit sogar einige Fliegen und Mücken, aber das sind lange nicht genug."

Nicht ganz so dramatisch sei die Situation für andere aufgeweckte Winterschläfer wie Igel oder Maulwürfe. Kaiser: "Die fressen in erster Linie nicht Insekten, sondern Würmer und Käfer, und davon gibt es ausreichend."

Jede Menge Insekten und Käfer wird es wohl im kommenden Frühjahr geben. "Wenn es keine langen, harten Frostphasen gibt, kann man davon ausgehen, dass es höhere Abundanzen bei vielen Insektenarten geben wird", sagt Henning Kaiser. Soll heißen: Wir werden es wohl mit extrem vielen Mücken, Fliegen, Wespen, Zecken und ähnlichem Krabbel- und Fluggetier zu tun bekommen. Des einen Leid, des andern Freud': Für die Vögel verspricht Lüneburg im Frühjahr zum Schlaraffenland zu werden.

Nur leider vermutlich zu spät. "Wir beobachten seit etwa zehn Jahren, dass die Balz- und auch Brutzeiten unserer Singvögel um ein bis zwei Wochen früher beginnen. In diesem Jahr sind es allerdings ein paar Wochen mehr, es ist extrem früh", sagt Frank Allmer vom Naturschutzbund (Nabu) Lüneburg. Für die Ringeltauben beispielsweise könne dieses frühe Schlüpfen problematisch werden, weil es dann noch nicht genügend Schmetterlingsraupen gebe - die Brut verhungert. Was für die betroffenen Küken sicherlich dramatisch ist, juckt die Natur allerdings wenig. "Wenn das erste Gelege stirbt, dann gibt es halt ein zweites oder gar ein drittes", sagt Allmer. "Für die Population ist das unbedenklich."

Ähnlich gelassen sehen die Naturschützer Allmer und Kaiser mögliche Auswirkungen auf die Flora. "Sobald es warm wird, beginnen die Pflanzen zu treiben und zu blühen, das ist ganz normal", sagt Henning Kaiser. "Wenn jetzt ein Wintereinbruch kommt, erfrieren die Triebe zwar, aber dann gibt's halt dieses Jahr keine Blüte. Die Pflanzen kommen schon damit klar."

Das Gleiche gilt für die Zugvögel. "Das Rastverhalten verändert sich", sagt Henning Kaiser. "Manche bleiben gleich hier, andere kommen früher wieder." Das hat auch Nabu-Mann Frank Allmer beobachtet. "Früher kamen die Kraniche im März, die vergangenen Jahre kamen sie schon im Februar, und in diesem Jahr sind bereits jetzt die ersten an ihren Brutplätzen." Wenn es doch noch kalt würde, zögen die Vögel einfach wieder in wärmere Gefilde, zum Beispiel in die Niederlande oder nach Frankreich. "Das macht denen nichts", so Allmer.

Ob der gegenwärtige laue Winter eine Folge der Klimaerwärmung ist, möchte Henning Kaiser vom Biosphärenreservat nicht beurteilen. "Das ist eine sehr popularistische Diskussion. Es gibt Leute, die stehen auf Katastrophenszenarios und Weltuntergangs-Prophezeiungen." Dass sich das Klima wandelt und die Folgen weitreichend und dramatisch sein werden, ist für Kaiser klar. "Ob wir aber hier an der Elbe bald Weinberge haben oder ewiges Eis, weil der Golfstrom seine Richtung ändert, ist nicht abzuschätzen."

Fest stehe allerdings, dass es generell zu Verschiebungen komme - örtliche wie zeitliche. "Manche Tiere brüten früher, andere wandern in kühlere Regionen ab, dafür finden wir hier neue Pflanzen, die sonst eher im Mittelmeerraum wachsen." Ob aber immer der Klimawandel die Ursache für solche Ausbreitungs- oder Zurückweichungsphänomene ist, stellt Kaiser in Frage. "Verschiebungen hat es schon immer gegeben. Manchmal, wie beispielsweise beim Jacobs-Kreutz-Kraut, sind meiner Meinung nach landwirtschaftliche Bewirtungsfehler die Ursache für die zunehmende Verbreitung."