Chronisch Kranke und ältere Menschen werden mit dem Hausarzt vernetzt. Ein Forschungsprojekt in Lüneburg

Lüneburg. Der demografische Wandel verändert unser Land. Im Jahr 2035 wird Deutschland eine der ältesten Bevölkerungen der Welt haben. Mehr als die Hälfte der Menschen wird dann 50 Jahre und älter, jeder Dritte älter als 60 sein. 2050 ist mit zehn Millionen Bürgern zu rechnen, die das 80. Lebensjahr überschritten haben.

"So viele Altenheime können wir gar nicht bauen, um diesen Bedarf zu decken", sagt Ralf Gremmel, Geschäftsführer des Paritätischen. Technik soll deshalb helfen, damit allein lebende ältere Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können. Hier setzt ein Lüneburger Forschungsprojekt an mit dem umfassenden Arbeitstitel "AAL@Home: Humanzentriertes Assistenzsystem für Sicherheit und Unabhängigkeit älterer, allein lebender Menschen". Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der Unterstützung der häuslichen und pflegerischen Versorgung.

Das von Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt ist auf drei Jahre angelegt. Sein finanzieller Umfang ist auf 2,53 Millionen Euro beziffert. 1,4 Millionen trägt das Ministerium, den Rest investieren Unternehmen. Projektpartner sind neben der Leuphana Universität, dem Paritätischen, einer Adendorfer Hausarztpraxis und einem Pflegedienst sieben weitere Einrichtungen und Unternehmen in der Region.

Besucht der am Projekt beteiligte Adendorfer Hausarzt Markus Bette ältere Patienten zu Hause, dann besteht seine Arbeit vor allem in der Abnahme so genannter Vitaldaten wie Puls, Blutdruck und Temperatur des Patienten.

Bette verspricht sich viel von der neuen Technik: "Mehr Zeit für persönliche Patientengespräche hätte ich, wenn Routinetätigkeiten wie das Blutdruckmessen von der Technik übernommen würde", sagt Bette. Mit Hilfe der unaufdringlichen Verfahrens könnten lebensnotwendige Daten kranker Patienten in die Praxis gesendet und im Notfall vom Pflegedienst, dem Krankenhaus, Notarzt und Angehörigen empfangen werden können. Krankheiten ließen sich frühzeitig erkennen und behandeln. "Das alles bedeutet mehr Sicherheit für den Patienten."

Professor Ralph Welge vom Institut für verteilte autonome Systeme und Technologien an der Leuphana Universität entwickelt UWB-Sensoren. Die Ultra-Breitband-Technik nutzt die Eigenschaften elektromagnetischer Felder mit extrem großer Bandbreite. Sie dienen dazu, Informationen über den Zustand ihrer Umgebung störungsfrei, berührungslos und mit höchster Auflösung zu gewinnen. "Kleine Sensoren, unauffällig an Wänden und Sesseln in der Wohnung angebracht, werden den Gesundheitszustand des Patienten überprüfen. Die Atemfrequenz eines Menschen misst die strahlungsarme Technik aus bis zu acht Metern Entfernung, die Herzfrequenz aus 50 Zentimetern." Selbst der Aufenthaltsort in der Wohnung sei zu ermitteln.

Ebenfalls beteiligt am Projekt ist mit Professor Christian Weiß das Lüneburger Klinikum. "Ich bin sehr an der Weiterentwicklung der Telemedizin interessiert", sagt Weiß. Telemedizin ist für den Chefarzt der Kardiologischen Klinik kein Fremdwort. "Zur Vermeidung des plötzlichen Herztods wird sie bereits im Klinikum genutzt. So schützt beispielsweise ein implantierter Defibrillator Menschen mit einer schweren Herzschwäche vor dem plötzlichen Herztod." Das medizinische Gerät ist mit Elektroden verbunden, die durch das Gefäßsystem in das Herz führen. Es überwacht ständig den Herzrhythmus des Patienten. Lebensgefährliche Rhythmusstörungen werden erkannt und können durch spezielle elektrische Impulse beendet werden.

In zwei Jahren, so Ralf Gremmel vom Paritätischen, seien die Forschungen der Informatiker so weit, dass das Sensoren-System erstmals in Lüneburg getestet werden könne: im Klinikum und bei Patienten zu Hause. "Auf diese Weise lässt sich die teilweise schlechte Infrastruktur im ländlichen Raum mit ihren langen Wegen zum nächsten Arzt überbrücken." Das bedeute nicht, das parallel in den Gemeinden nicht nach- gedacht werden muss: Über Konzepte von Gesundheitszentren und Gemeinschaftspraxen im ländlichen Raum.

Laut Bertelsmann-Studie "Wegweiser-Kommunen" entwickelt sich der Landkreis Lüneburg dem allgemeinen Trend entgegen. Die Region zählt zu dem Bereich der Kommunen mit hohen Wachstumsraten. Für Lüneburg erwartet die Studie bis 2025 eine stark zunehmende Bevölkerungsentwicklung auf 79 500 Einwohner (71 303 Einwohner am 31.12.2009).

Allerdings verändert sich, laut Bertelsmann, die Altersstrukturstruktur der Bevölkerung wesentlich: Die Zahl der über 80-Jährigen nimmt bis dahin um 38 Prozent zu, die der 65- bis 79-Jährigen um gut 22 Prozent. Der Anteil der 45- bis 64-Jährigen steigt um fast 35 Prozent. Sämtliche jüngeren Altersklassen schrumpfen; mit über zehn Prozent im Besonderen die junge Generation zwischen 16 und 18 Jahren.