Ulrich Blumenbach wuchs in Lüneburg und Adendorf auf. Die Lust auf Literatur weckte bei ihm ein Jugendfreund.

Den Preis der Leipziger Buchmesse 2010 in der Kategorie Übersetzung erhielt der in Lüneburg aufgewachsene Ulrich Blumenbach. Sechs Jahre benötige er, um aus David Foster Wallaces amerikanischen 1500 Seiten starken Monumentalroman "Infinite Jest" den deutschsprachigen Roman "Unendlicher Spaß" zu machen. Rundschau-Autorin Martina Brinkmann sprach mit dem Preisträger.

Lüneburger Rundschau:

Ihre elementare Lust, sich mit Sprache zu beschäftigen - durch wen und wie wurde sie so nachhaltig gefördert?

Ulrich Blumenbach:

Als erstes fällt mir ein Jugendfreund ein, der mich in den späten Siebzigern in der Buchhandlung Perl immer vor das Regal mit der noch fast neuen Übersetzung des Ulysses durch Hans Wollschläger zog. Derselbe Freund machte mich auch mit Arno Schmidt bekannt, dessen Bücher ja reine Anabolika fürs Sprachzentrum sind. Einen ähnlich großen Einfluss hatte ein Studienfreund, der mir, nachdem wir beide die Universität gewechselt hatten, in einem jahrzehntelangen Briefwechsel beibrachte, welche Ausdruckskraft die deutsche Sprache hat und wie man halbwegs verantwortungsbewusst mit ihr umgeht.

Sechs Jahre Arbeit am Roman des David Foster Wallace: Wie gestaltet sich das Leben eines Übersetzers neben einer derartigen Marathonarbeit? Wie leicht oder schwer fiel es Ihnen, sich auf die Alltäglichkeiten des Lebens, auf das Familienleben einzulassen?

Ich glaube, ich kann gut umschalten. Außerdem ist der Spagat zwischen Hochliteratur und Populärkultur gar keine so unangenehme Körperhaltung: Wie Joelle in "Unendlicher Spaß" entspanne ich mich mit Filmen, "wo jede Menge Scheiß in die Luft fliegt". Meine Frau und ich sind richtige DVD-Junkies und sehen gern amerikanische Fernsehserien.

Was macht den Charme Ihrer Arbeit aus?

Die Neuerschaffung von Welt durch Sprache. Diese Wirklichkeitsgier habe ich vielleicht von Wallace übernommen. Die Weltbemächtigung durch genaue Beschreibung steht ja im Zentrum seiner Ästhetik. Wenn ich an geilen Zeilen feilen kann, ist es einfach beglückend zu verfolgen, wie sich nach und nach ein genauer Sachverhalt herausschält.

Wovon hängt die Auswahl der Ihnen angebotenen Manuskripte ab? Wen und was übersetzten sie als nächstes?

Die Auswahl hängt oft ganz profan davon ab, ob ich überhaupt Zeit habe. Dann sollten mir natürlich Stoff und Stil gefallen. Jetzt habe ich gerade die Übersetzung der Urfassung von Jack Kerouacs Kultroman "On the Road" abgeschlossen, und danach geht es wohl wieder an Erzählungen und Essays von Wallace.

Übersetzer und Autor, beide sind schöpferisch tätig. Könnten Sie sich vorstellen in die Rolle des aktiven Schriftstellers zu schlüpfen?

Cum grano salis gesagt: In der Rolle stecke ich doch schon, denn alles Übersetzen ist autobiografisch. Viele Wörter, die ich hinschreibe, haben für mich eine eigene Geschichte: "Matschipapps" (Unendlicher Spaß Seite 846) war beispielsweise der Ausdruck einer Ex-Freundin für einen ziemlich ungenießbaren Bohneneintopf; "Tütchen" (Unendlicher Spaß 1357) geht auf eine Klassenfahrt nach Passau zurück, bei der ich beim Vorlesen eines Witzes aus Unkenntnis des Worts "Kondom" laut kommentierte, das sei wohl so eine Art Tütchen, was ein homerisches Gelächter im Jungenschlafsaal auslöste und spätabends noch einmal den Klassenlehrer auf den Plan rief.

Frei nach Heine - der in Lüneburg nicht unbedingt glücklich, dafür aber kreativ war - formuliere ich meine letzte Frage: Denk ich an Lüneburg, dann . . .

. . . antworte ich mit der Contrafaktur einer Brechtzeile: Die Sommerwärme der niedersächsischen Kiefernwälder wird in mir bis zu meinem Absterben sein.