Hauptgründe seien die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bei gleichzeitigem Personalabbau.

Lüneburg. Unglücklich sind die niedersächsischen Verwaltungsrichter über die Entscheidung der Landesregierung, das Widerspruchsverfahren als Akt der Entbürokratisierung abzuschaffen. Das seit 2005 erprobte Verfahren ist seit dem 25. November vergangenen Jahres nun Gesetz. Wenn Bürger gegen Entscheidungen von Behörden Widerspruch einlegen wollen, können sie das nur noch vor Gericht und nicht mehr wie bis 2004 bei den Behörden selbst tun. Das Thema sei ein Dauerbrenner, sagte gestern Dr. Herwig van Nieuwland, Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes (OVG) in Lüneburg, der auch für alle sieben Verwaltungsgerichte im Land zuständig ist, bei der Vorstellung des Geschäftsberichtes 2009. "Wir Richter haben dagegen gehalten, müssen uns jetzt aber damit abfinden, dass das Verfahren abgeschafft wurde."

Kritik äußerte er an der Aussage von Politikern, dass es dadurch zu keiner Mehrbelastung der Verwaltungsgerichte gekommen sei. "Das Widerspruchsverfahren dient nicht primär der Entlastung der Verwaltungsgerichte, sondern in erster Linie eröffnet es dem Bürger eine einfache, wirksame und kostengünstige Möglichkeit der Überprüfung behördlicher Entscheidungen." Nach seinen Worten sei das in zahlreichen Rechtsgebieten nunmehr aber entfallen. Anders als in einer Haushaltsdebatte im Landtag geäußert, sei die Belastung für die Verwaltungsrichter größer als von der Politik eingestanden. "Stellen haben wir jede Menge, nur können wir sie nicht besetzen." Gründe seien der Einstellungsstopp und die Abordnung von Richtern an die Sozialgerichte. Die Verwaltungsgerichte würden im bundesweiten Vergleich auf einem Spitzenplatz bei der Pro-Kopf-Belastung rangieren: "Die Arbeitsbelastung liege deutlich über Normalmaß." Dennoch erledigten die Verwaltungsrichter 21 485 Fälle, die OVG-Richter 3771. "Und das mit weniger Personal."

Allein im vergangenen Jahr seien bei den Verwaltungsgerichten 20 708 Verfahren neu eingegangen - allein die Widerspruchsverfahren machten ein Plus von 25 Prozent aus. "Auch wenn das der Innenminister nicht hören will." Der OVG-Präsident untermauerte das mit Vergleichszahlen. Im Abgabenrecht, das auch Gebühren und Steuern umfasst, sei die Zahl der Fälle an den sieben Gerichten seit 2004 vor der Reform des Widerspruchsrechtes von 900 auf 2000 im Jahr 2008 gestiegen. Beim BAföG ging es von 120 auf 520 rauf, beim Wohngeld von 150 auf 220 und bei der Kinder- und Jugendhilfe von 260 auf 440. Allerdings räumte van Nieuwland ein, dass die Klagen der Bürger häufiger erfolgreich seien. "Fast ein Drittel geht zu ihren Gunsten aus. Das war früher anders." Erfreulich sei, dass sowohl bei den Verwaltungsgerichten als auch beim OVG die durchschnittliche Verfahrensdauer im vorigen Jahr gesunken sei. Sie betrug 11,1 Monate an den Verwaltungsgerichten und 23,5 Monate in der ersten Instanz beim OVG.

"Es ist gut, dass die Bürger wieder schneller zu ihrem Recht kommen", sagt van Nieuwland. Allerdings hinke Niedersachsen im Vergleich zu anderen alten Bundesländern hinterher, "weil in den anderen Ländern Personaleinsparungen nicht in dem Maße stattgefunden haben." Als er vor zehn Jahren Präsident wurde, habe das OVG noch 42 Richter gehabt, aktuell seien es nur noch 27. Und auf die könnte nach der Entscheidung der Bundesregierung, den Salzstock in Gorleben als Atommüllendlager weiter zu erkunden, noch mehr Arbeit zukommen, vermutet van Nieuwland.