Das Städtische Klinikum hat die Behandlungen der letzten 20 Jahre untersucht. Alle sozialen Schichten betroffen.

Lüneburg. Zunehmend mehr Jugendliche werden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mit Alkoholvergiftungen in Kliniken eingeliefert. Im Jahr 2008 erreichte die Zahl der Behandlungen einen Rekord von rund 25 700 Kindern und junge Erwachsenen zwischen 10 und 20 Jahren, ein deutlicher Anstieg von elf Prozent gegenüber dem Vorjahr.

In Lüneburg sind die Fallzahlen zum Glück noch überschaubar, doch der Trend ist der gleiche wie im Bund. Grund genug für die Kinderklinik am Städtischen Klinikum, sich mit dem Phänomen zu befassen. "Ein Doktorand hat alle Fälle der vergangenen 20 Jahre für uns evaluiert", sagt Chefarzt Josef Sonntag. Demnach wurden 198 Minderjährige im Zeitraum von 1988 bis 2007 in der Kinderklinik mit einem durchschnittlichen Blutalkoholwert von 1,52 Promille behandelt.

Die Zahl der Behandlungen erscheint zunächst niedrig, allerdings ergänzt der Chefarzt: "Die Fälle haben sich über die Jahren vervielfacht." Waren es 1988 nur vier Jugendliche, die stationär behandelt wurden, so verzeichnet die Statistik im Jahr 2007 bereits 20 Fälle bei den unter 16-Jährigen. Sonntag: "Der Jüngste war erst zwölf Jahre alt." Durch alle sozialen Schichten zieht sich der Studie folgend die Entwicklung, Akademikerkinder greifen ebenso zur Flasche wie die Sprösslinge von Arbeitern oder Hartz IV-Empfängern. Doch was tun, wenn das Kind Alkohol trinkt? Gabriel Siller, Leiter der Fachstelle für Sucht und Suchtprävention (drobs) in Lüneburg weiß Antwort: "Aufmerksam sein, die Situation ansprechen und vor allem: Regeln aufstellen und Grenzen setzen."

Genau das geschieht auch in den Gesprächen, die drobs-Berater mit den jungen Krankenhauspatienten und deren Eltern führen. Beide Einrichtungen arbeiten bei Alkoholmissbrauch durch Jugendliche eng zusammen, "um dem Ganzen möglichst frühzeitig Einhalt zu gebieten", sagt Sonntag. Das Klinikum stellt den Kontakt zur drobs her, die Entscheidung, ob ein Gespräch geführt wird, liegt bei den Eltern.

Wichtig sei dabei vor allem, den Kindern zu zeigen, dass die Erwachsenen reagieren, erklärt Siller. Immerhin birgt der Alkoholkonsum so einige Gefahren für die jungen Trinker. Sonntag erklärt: "Gerade in den Wintermonaten ist eines der Hauptsymptome eine Unterkühlung." Nicht selten werden Patienten mit einer Körpertemperatur um die 34 Grad aufgenommen. Hinzu kommen Verletzungen durch Stürze oder Schlägereien. Fatal sei es auch, wenn die Freunde aus Angst vor Konsequenzen nicht den Rettungswagen rufen und sich stattdessen lieber aus dem Staub machen, sagt Josef Sonntag.

Immerhin könnten Betrunkene auch an ihrem Erbrochenen ersticken. Zwar habe es in Lüneburg bisher keine derartigen Extremfälle gegeben. "Das heißt aber nicht, dass uns das nicht jederzeit ins Haus schneien kann", warnt der Mediziner. Gerade Feiertage wie Silvester seien häufig nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Jugendliche Anlass, Alkohol zu trinken und ausgelassen zu feiern.

Grundsätzlich sei der eine Rausch noch zu verkraften, sagt Sonntag. Kritisch sei jedoch der regelmäßige Genuss von Alkohol. Die Folgen: Erhebliche Persönlichkeitsveränderungen und psychische Auffälligkeiten.

Krankheitsbilder, mit denen die Psychotherapeutin Petra Andreas-Siller von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Klinik Lüneburg Erfahrung hat. Sie behandelt Kinder und Jugendliche mit Folge- und Begleiterkrankungen. Ihrer Einschätzung nach hat sich das Alkoholkonsumverhalten von Jugendlichen in den letzten zehn Jahren stark verändert: "Die Jugendlichen trinken zunehmend hochprozentigen Alkohol, ein kritischer Umgang fehlt oft."