Ein ungewöhnlicher Rundgang: “KonsuMensch“ zeigt keine Sehens- würdigkeiten, sondern Auswirkungen unseres gedankenlosen Konsums.

Lüneburg. Wir alle konsumieren, Tag für Tag: Fleisch, Bekleidung, Elektronik. Was aber passiert eigentlich in anderen Teilen der Welt, bevor wir hier eine Jeans kaufen können? Welche Auswirkungen hat es, dass die meisten von uns beinahe täglich Fleisch essen? Und wieso hängt quasi jedes Mobiltelefon indirekt mit einem Krieg zusammen?

All das sind Fragen, die wir uns im Alltag selten stellen - weil die Antworten unbequem sind und die Konsequenzen, die wir aus ihnen ziehen müssten, noch viel unbequemer. Aber manchmal sind die Lösungen gar nicht so schwer. "KonsuMensch" will den Lüneburgern ein Stück weit die Augen öffnen. Und Alternativen aufzeigen, wie jeder einzelne verantwortungsvoller handeln kann. Ein Team aus Studenten und Absolventen der Leuphana Universität bietet ungewöhnliche Stadtrundgänge an: Bei ihren Vorträgen geht es nicht um Sehenswürdigkeiten, sondern um kritischen Konsum.

Heute sind die Umweltwissenschaftler Eva Freund und Friedrich Laatz mit einer zehnten Klasse der Hauptschule Stadtmitte unterwegs. Die Schule bezahlt den Anschauungsunterricht unter freiem Himmel aus Mitteln eines EU-Förderprogramms.

Erste Station: Die Modekette H&M. Hier gibt es günstige Kleidung - so weit, so gut. Was aber ist der Preis, den wir als Konsumenten indirekt andere dafür zahlen lassen? Zusammen mit den Schülern verfolgt Eva Freund auf einer großen blauen Weltkarte, die sie vor dem Schaufenster des Geschäfts ausgebreitet hat, den Weg einer Jeans zurück, von der Bäckerstraße bis zum Baumwollfeld. Jeder Schüler stellt sich dafür symbolisch auf eines jener Länder, das für eine Station der Jeans steht.

Rohstoffe, Nähen, Färben, Waschung, Labels - die Strecke ist am Ende unfassbar lang: Etwa 20 000 Kilometer misst die Weltreise jeder einzelnen Hose. Ihre Ökobilanz ist demnach denkbar hoch. Von den giftigen Rückständen aus Pestiziden und Farben, die sie am Ende meist enthält, einmal ganz abgesehen.

"Was könnte es denn für Alternativen geben?" fragt Eva Freund ihre jungen Zuhörer. "Second-Hand-Läden" kommt als Antwort, und "selber nähen". Tatsächlich aber sind die Handlungsmöglichkeiten oft begrenzt. "Gerade in der Hauptschule merkt man natürlich, dass es doch vermehrt Haushalte gibt, für die der Kauf von Bio-Fleisch oder Fairtrade-Kaffee einfach zu teuer ist", weiß Lehrer Stefan Tretow-Zimmermann, der zusammen mit seinem Kollegen Sönke Voß die Klasse begleitet. Trotzdem sei es für die Schüler wichtig, globale Zusammenhänge und Handlungsalternativen kennenzulernen, so die Lehrer.

Ein paar Meter weiter ist schon die nächste "Konsum-Station", vor einem Handyladen. Davon gibt es in der Bäckerstraße reichlich. Aber was kann an Mobiltelefonen schon so schlimm sein?

Die Antwort erstaunt die meisten der Schüler. Denn dass in ihrem Handy über 5000 chemische Stoffe und Gold zu finden sind sowie ein Stoff namens Koltan, dessen massiver Abbau indirekt Kriege im Kongo fördert, wussten sie bisher nicht. Wieder werden die Schüler aktiv mit einbezogen, lesen sich durch einen Pappfernseher fiktive Nachrichten und Werbespots zum Thema Handy vor, die dann diskutiert werden. Die fundamentale Erkenntnis: Es muss nicht alle zwei Jahre ein neues Handy sein.

"Wir merken, dass die Schüler Interesse an diesen Themen haben und dass da mehr hängen bleibt als sonst", sagt Lehrer Tretow-Zimmermann. "Der Stoff wird hier nicht nur thematisch und didaktisch, sondern auch methodisch gut aufbereitet." Das Mitmachen, direkt vor den bekannten Geschäften, macht die Thematik für die Zehntklässler eher (be-)greifbar.

"Das ist natürlich allemal anschaulicher als der normale Frontalunterricht", erklärt Friedrich Laatz, einer der Stadtführer. "Wir versuchen uns immer auf die jeweilige Gruppe einzustellen und ihnen Möglichkeiten zum Handeln anzubieten." Trotz finanzieller Hürden habe jeder einen Spielraum, in dem er etwas bewirken könne. Und seine Kollegin Eva Freund ergänzt: "Natürlich können wir die vielen verschiedenen Themen nur anreißen." Die Schüler stünden hinterher meist mit mehr Fragen da als vorher. "Aber genau das ist ja auch unser Ziel", so Freund.