Ehemaliger Leiter warnt davor, für Bücherei und Stadtarchiv eine gemeinsame Spitze einzustellen.

Lüneburg. 27 Jahre lang hat er die Ratsbücherei geleitet, jetzt schlägt er Alarm: Im Gespräch mit der Lüneburger Rundschau warnt Gerhard Hopf (72) eindringlich davor, der Bibliothek die eigene Leitungsstelle zu streichen. Die Pläne der Verwaltung markieren für ihn den "Beginn der Auflösung der Bibliothek". Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) spricht vom Gegenteil.

Die Leitung des Stadtarchivs, seit November vakant, soll zum 1. Oktober, spätestens zum 1. Januar 2010 neu besetzt werden. Zum 1. Juni soll die neue Führung dann auch die Ratsbücherei mit leiten. Denn deren Chef Rolf Müller geht zum 1. Oktober in den Ruhestand, früher als geplant, aus gesundheitlichen Gründen und aus Ärger über den geplanten Wegfall der Stelle. Ab dann ersetzt ihn Gisela Scheel-Bockelmann, zurzeit Leiterin der Kinder- und Jugendbücherei. Laut Mädge arbeitet sie noch bis 2012 in Vollzeit und geht dann ebenfalls in Rente.

Gesucht wird in der Ausschreibung eine Kreuzung aus Archivar und Bibliothekar: Die Führungskraft mit abgeschlossenem Studium der Geschichte "oder eines anderen geeigneten Fachgebiets" soll ihren "Schwerpunkt auf archivarischen Tätigkeiten" haben. Ihr Aufgabengebiet aber "umfasst im Wesentlichen die Bibliotheksleitung". Die Frist ist Ende Juli abgelaufen, 78 Bewerbungen für die hybride Stelle liegen vor.

"Archivare und Bibliothekare haben vollkommen verschiedene Aufgaben", sagt Gerhard Hopf, von 1974 bis 2001 Leiter der Ratsbücherei und in den 1960er-Jahren Mitarbeiter des Lüneburger Stadtarchivs. "Archivare sammeln, sichten und bewahren Dokumente der Stadtgeschichte. Bibliothekare müssen die Bücherei dagegen zu einem offenen Kommunikationszentrum machen, junge und ältere Menschen an eine solche Einrichtung zu binden versuchen. Sie müssen immer wieder neue Medien integrieren und Ideen entwickeln, Anstöße geben für Veränderungen."

Müllers Stelle nicht wieder mit einer bibliothekarischen Fachkraft zu besetzen, nennt Hopf eine "fatale Fehlentscheidung". Sie treffe die Einrichtung in "ihren Grundfesten". Er vermutet: "Wenn der zukünftige Leiter ein Archivar ist, wird er den Altbestand der Bücherei aus organisatorischen Gründen hinüber ins Stadtarchiv holen wollen. Damit würde eine einzigartige Bibliothek an ihrem bisherigen Standort zerstört."

Dass in einem 600 Jahre alten Gemäuer sowohl historische Bücher von unschätzbarem Wert wie etwa die Sachsen- und Schwabenspiegel aus dem Mittelalter und gleichzeitig der moderne Ausleih-Bestand stehen, gibt es laut Hopf kein zweites Mal in Niedersachsen.

Dass eine einzige Person das neben Braunschweig, Hannover und Hildesheim bedeutendste Stadtarchiv Niedersachsens und eine der ältesten Bibliotheken Deutschlands mit einem Mischbestand von Altem und Neuen - und jeweils zahlreichen wissenschaftlichen Anfragen - gleichzeitig führen kann, bezweifelt der langjährige Büchereileiter: "Das kann eine Kraft allein gar nicht bewältigen."

Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) widerspricht dem deutlich: "Fachleute bestätigen mir, dass es gut ist, die Bereiche alte und neue Bücher auseinander zu ziehen." So soll die neue Führungskraft sich laut Mädge - im Gegensatz zur Stellenausschreibung - vor allem ums Archiv und den Altbestand der Bibliothek kümmern, Gisela Scheel-Bockelmann dagegen um die Bücherei. Mädge: "Ich brauche jemanden, der vor allem Kinder und Jugendliche an Bücher heranführt. Ich will die Bücherei als Stadtbücherei stärken, nicht schwächen." Das eingesparte Geld bleibe dem Kulturetat erhalten.

Den Altbestand der Ratsbibliothek ins Archiv hinüberzuholen, ist laut Verwaltungschef nicht geplant: "Wir haben in der Bücherei doch gerade Hunderttausende in den Brandschutz investiert." Im Übrigen, so Mädge, sei es "für Pensionäre immer eine gute Übung, sich aus dem aktuellen Geschehen herauszuhalten".