Versorgungslücke: Trotz Attest soll eine Lüneburgerin die Nachsorge aus eigener Tasche zahlen.

Lüneburg. Wenn Patienten nach einer Operation aus dem Krankenhaus entlassen werden, dann kann es notwendig sein, dass ihnen daheim ein ambulanter Pflegedienst unter die Arme greifen muss. Die Kosten dafür übernimmt die Krankenkasse, wenn der Krankenhausaufenthalt dadurch vermieden oder verkürzt wird - so regelt es das Sozialgesetzbuch (SGB).

Heide Schmidt, Pflegedienstleitung des Paritätischen Lüneburg, erlebt jedoch immer häufiger, dass Kassen sich dieser Verpflichtung entziehen: "Offiziell gibt es die Regelung zwar noch, aber praktisch wird sie kaum noch angewendet."

Auch die Lüneburgerin Gertrud L. musste diese Erfahrung machen: Zwei Tage nachdem ihr ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde, entließ das Städtische Klinikum die 78-Jährige. "Einen Tag später hatte ich grün-blaue Hämatome und starke Schmerzen in der Brust. Das zog bis in meinen rechten Arm, ich konnte ihn gar nicht mehr bewegen."

Gertrud L. konnte sich kaum selbst waschen, das Anziehen bereitete ihr Probleme. "Es war so schlimm, ich habe meine Tabletten gar nicht mehr aus der Packung entnehmen können", schildert sie.

Ihr Hausarzt verordnet der Seniorin eine ambulante Pflegeversorgung nach Paragraf 37, Absatz 1, SGB V. Doch die Krankenkasse lehnt eine Kostenübernahme ab. Britta Wilms, Pressesprecherin der BKK Essanelle, begründet: "Aus der Verordnung ging nicht hervor, dass die Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wurde, und nicht, warum Frau L. die Medikamenteneinnahme nicht selbstständig möglich war. Als Alternative haben wir unserer Versicherten die Verordnung einer Anleitung zur Behandlungspflege vorgeschlagen."

Bedeutet: Der Pflegedienst soll Gertrud L. zeigen, wie sie die Medikamente einzunehmen hat. Heide Schmidt ist empört: "Das ist doch Quatsch. Wenn jemand Schmerzen bei bestimmten Bewegungen hat, kann er diese auch nicht nach Anleitung ausführen. Außerdem ging es neben der Medikamentengabe vor allem um die ganz normale Körperpflege."

Bei Gertrud L. waren die Beschwerden so gravierend, dass sie erneut stationär behandelt werden musste. Auf den Pflegedienst war sie auch nach der Entlassung angewiesen. Die volle Kostenübernahme lehnte die BKK Essanelle erneut ab. Allerdings gewährte die Kasse mit Schreiben vom 29. Juni eine tägliche Grundpflege und eine Medikamentengabe. Knapp 400 Euro für den Pflegedienst soll Gertrud L. nun selbst zahlen.

Kein Einzelfall. Heide Schmidt bestätigt: "Allein in den letzten Wochen wurde bei acht unserer Patienten die Kostenübernahme der Krankenhausvermeidungspflege abgelehnt." Der Wohlfahrtsverband kritisiert das Verhalten der Krankenkassen - und bekommt Rückenwind aus Bremen. Ralf Gremmel, derGeschäftsführer des Paritätischen Lüneburg, erklärt: "Die ,Gruppe ambulante Versorgungslücken' sammelt Unterschriften für eine Petition an den Bundestag." Die Initiative will eine Gesetzesänderung bewirken, um den Kassen die Interpretationsspielräume zu nehmen. Elsbeth Rütten, Sprecherin der Gruppe sagt: "Die Petition befindet sich im parlamentarischen Prüfverfahren. Bisher haben wir 25 000 Unterschriften gesammelt." Noch bis Ende August können sich Menschen an der Aktion beteiligen. Sammellisten zum Herunterladen gibt es auf der Internetseite der Initiative: www.ambulante-versorgungsluecke.de .

Gertrud L. freut sich, dass das Thema an Bedeutung gewinnt: "Ich wäre ja sonst nie damit an die Öffentlichkeit gegangen. Aber wenn keiner etwas macht, wird sich auch nichts ändern." Und dank dieser Einstellung stand die Seniorin jüngst für die ARD-Sendung "Panorama" vor der Kamera. Heute, um 21.45 Uhr läuft der Beitrag im Ersten.