Abendblatt-Mitarbeiterin Rachel Wahba begleitete die Familie Novotny auf ihrer Tour durch Bila Zerkwa.

Bila Zerkwa

Ortstermin in der Sozialstation für alte Menschen in Bila Zerkwa. Bei einer Rente von 50 oder 60 Euro fällt es vielen alten Menschen in der Ukraine schwer, ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu decken. Hier in der Sozialstation bekommen sie eine Mahlzeit. Sie treffen sich, um ein Schwätzchen zu halten und um nicht allein zu sein. Helga, André und Peter Novotny aus Scharnebeck von der Stiftung "Hof Schlüter" haben sich angemeldet. Die Stiftung unterstützt Hilfsbedürftige in der Stadt, die 80 Kilometer südlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew liegt (wir berichteten). Auch die Sozialstation ist Empfänger der Hilfsgüter aus Deutschland. "Wenn du in der Ukraine alt bist, und keine Kinder hast, die dich unterstützen, ist das sehr schlimm. Denn in diesem Land gibt es keine Hilfe vom Staat. Viele alte Menschen können sich gerade mal die Miete für ihre Wohnung leisten. Für Kleidung, Essen, Medikamente oder einen Krankenhausaufenthalt reicht meist das Geld nicht", sagt Nathalie Gedz. Die Übersetzerin begleitet die Novotnys auf ihrer Tour durch die Stadt.

Zu Ehren des Besuchs aus Deutschland singen die Rentner in der Sozialstation einige ukrainische Volkslieder. Nathalie Gedz: "Die Musik hält unsere Menschen am Leben." Die alten Leute haben sich zu einem Chor zusammen getan. Inzwischen treten sie bei Festen und Veranstaltungen auf. Eine Gage bekommen sie nicht. Die könnte sich hier sowieso niemand leisten. Beim Abschied geben sie den Novotnys noch eine Bitte mit auf den Weg. "Wir hätten so gerne ein eigenes Akkordeon. Immer wenn wir proben oder auftreten, müssen wir uns eines leihen." Helga Novotny verspricht, sich in Deutschland nach einem Instrument umzusehen.

Die Fahrt geht weiter nach Kiew. Hier steht ein Termin bei Tatjana Iljenich im ukrainischen Innenministerium auf dem Programm. Am Eingang zum Ministerium, einem imposanten Bau aus Sandstein, werden die Taschen kontrolliert. Iljenich ist die Sekretärin der Kommission für humanitäre Fragen im Ministerkabinett. Mit ihr will Peter Novotny einige Fragen klären. Novotny: "Für jeden Lkw mit Hilfsgütern, den wir in Scharnebeck auf die Reise nach Bila Zerkwa schicken, muss ich vier Wochen im Voraus eine Ladeliste aufstellen für die Behörden. Das ist mitunter schwierig. Oft kommen in dieser Frist noch Sachen zu uns ins Lager, die wir mitschicken wollen. Die stehen dann natürlich nicht auf der Liste." Iljenich schlägt vor, in diesen Fällen Extra-Listen nachzureichen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium und der Stiftung "Hof Schlüter" funktioniert sehr gut. Iljenich hilft schnell und unbürokratisch, wenn Probleme auftauchen.

Schwieriger dagegen ist der Umgang mit dem ukrainischen Zoll. Kolja Daschkewitsch, der die Hilfsgüter im Namen der Stiftung in Bila Zerkwa an Krankenhäuser, Waisenheime und Arme verteilt, wird oft von Behörde zu Behörde geschickt, bevor der Zoll die Hilfsgüter freigibt. Bei so viel postkommunistischer Bürokratie plagen Nathalie Gedz Zweifel, "ob mein Volk wirklich schon reif für die Demokratie ist". "Wenn eine Lieferung Krankenhausbetten aus Deutschland angekommen ist, muss ich mir erst vom ukrainischen Gesundheitsministerium eine Genehmigung holen, die ich dann beim Zoll vorzeigen muss, bevor die Betten entladen und in die Klinik gebracht werden können", so Daschkewitsch.

Peter Novotny kennt die Probleme auch in Deutschland: "Im Zuge der neuen EU-Bestimmungen wird der bürokratische Aufwand für uns in Scharnebeck auch immer größer. Das ist oft frustrierend. Man möchte den Menschen in Bila Zerkwa helfen, und wird bei jeder Lieferung von Hilfsgütern, die man anmeldet, mit einem riesigen Berg Papierkram konfrontiert." Das Gespräch in Kiew mit der Zollbehörde lässt die Helfer hoffen. Man werde alles tun, so heißt es im Zollamt, um die Arbeit der Stiftung zu erleichtern.

Am Abend vor ihrer Abreise treffen sich die Novotnys mit allen Helfern, die in Bila Zerkwa für die Stiftung tätig sind in einem kleinen Restaurant am Ros. Dazu gehört auch Mascha. Die Deutsch-Lehrerin begleitet die Kindergruppen, die jedes Jahr auf Einladung der Stiftung mehrere Wochen in Netze ihre Ferien verbringen. Mascha erzählt von ihrer Begegnung mit der Leiterin des Kindergartens, in dem sie ihre kleine Tochter gerade angemeldet hat. "Bei uns in der Ukraine hat laut Gesetz jedes Kind Anspruch auf einen Kindergartenplatz, natürlich kostenlos. Aber das steht nur auf dem Papier. In der Realität musst du dir diesen Platz natürlich erkaufen. Und diese Leiterin gab mir eine Liste mit Dingen, die sie für die Sanierung ihres Kindergartens braucht. Ich bot ihr an, Farbe zu organisieren. Das ließ sie nicht gelten. Am Ende einigten wir uns auf eine Lkw-Ladung Sand." Wie sie diese "Kindergarten-Gebühr" auftreiben und transportieren solle, wisse sie noch nicht. Sie habe nicht mal ein Auto, geschweige denn einen Lkw. Die Runde lacht. Der Kapitalismus treibt eben auch seine komischen Blüten in der Ukraine. Am nächsten Morgen werden die Novotnys wieder zurück nach Deutschland fliegen.