Tupperware-Imperium in Wetzen: Schon 45 Jahre lang arbeitet Margret Haider für Tupperware. Auch mit über 70 Jahren ist sie noch im Geschäft.

Wetzen. Lieblich wiegen sich die Bäume im sommerlichen Wind, rot geklinkerte Einfamilienhäuser blinken wie frisch geschrubbt aus prächtig blühenden Gärten. Jemand mäht Rasen. Ein Hahn kräht. Wetzen, ein von 380 Menschen bewohntes Dorf, schmiegt sich nördlich von Amelinghausen in die Heide. Nur einmal in der Woche ist Schluss mit der Beschaulichkeit: Dann rollen Lastwagen voller Plastikschüsseln durch die idyllische Landschaft. Wer hätte in Wetzen ein Tupperware-Imperium vermutet?

Und doch: So ist es. Seit 1995 beherbergt die ehemalige Gardinenfabrik Im Krüß eine Bezirkshandlung für die farbenfrohen Haushaltshelfer aus Plastik. Aufgebaut hat sie Margret Haider. Seit genau 45 Jahren lebt und arbeitet die vor Energie strotzende Dame Anfang 70 für Tupperware. Ein Doppeljubiläum: Auch die Kultfirma feiert Geburtstag. Seit 50 Jahren gibt es in Deutschland die von Chemiker Earl S. Tupper entwickelten "Wunderschüsseln" aus Polyethylen zu kaufen.

Mit Tupperware, sagt Margret Haider, verhalte es sich genau wie mit Fast Food, Boulevardzeitungen oder deutschen Schlagern. "Keiner kauft es, keiner liest es, keiner hört es, alle schimpfen drüber. Trotzdem verkaufen sich alle millionenfach." Die ältere Dame verdreht die Augen. "Auch zu Tupperparties geht niemand. Dabei finden jede Woche in unserem Bezirk rund um Lüneburg 110 Veranstaltungen statt."

Es ist wohl dieses besondere Vertriebskonzept, das entscheidend zum Erfolg der Tupperware beigetragen hat. Erfunden hat es eine Frau namens Brownie Wise, die 1948 damit begann, Tupperware-Produkte im Rahmen einer kleinen Party in privaten Haushalten vorzustellen. Bis heute vertreibt die Firma ihre Produkte ausschließlich auf diesem Wege. "Das ist jedes Mal ein Event", sagt die Reppenstedterin Dagmar Bartels, die regelmäßig zu Tupperparties einlädt. "Wir klönen, tauschen Rezepte. Es macht einfach Spaß."

Das gesellige Beisammensein war nicht der einzige positive Effekt des damals neuartigen Vertriebskonzepts. Für viele Hausfrauen bot sich so erstmals die Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen: Sie wurden Tupper-Beraterinnen. Eine von den Vielen ist Margret Haider selbst. 1967 ist sie zu Gast auf einer Tupperparty. "Ich fand es so beeindruckend, wie die Tuppertante damals vor uns allen geredet hat, ohne rot zu werden", erinnert sie sich. "Das wollte ich auch machen." Zu Fuß, mit dem Schlitten, auf dem Fahrrad oder mit dem Bus schleppt sie zwei Jahre lang die schweren Taschen voller Tupperware durch Hamburg, bevor sie ihren ersten Dienstwagen bekommt: einen himmelblauen Opel Kadett.

1970 eröffnet Haider in Rullstorf eine eigene Bezirkshandlung für die Region Lüneburg. Die 38 verschiedenen Produkte, die Tupperware damals im Sortiment hat, werden im Tanzsaal des Gasthauses Müller gelagert. Die so genannten "Meetings" mit ihren elf Tupperberaterinnen, bei denen neue Produkte oder Rezepte vorgestellt und die Beraterinnen mit dem besten Umsatz ausgezeichnet werden, finden zu Hause im Wohnzimmer statt. Fast eine Familienfeier: "Meine zwei Schwestern, meine Nichte, meine Cousine und ein paar Freunde waren dabei", sagt Haider.

Bald schon werden die Räumlichkeiten zu klein. Es folgen 1972 der Umzug nach Scharnebeck und 1977 der nach Kirchgellersen, wo diverse Örtlichkeiten als Lager-, Büro- oder Meeting-Räume angemietet werden. Auch Haiders Mann Peter ist inzwischen mit von der Partie: 1974 kündigt er seine Stelle bei der Hamburger Finanzbehörde und kümmert sich nun um die Büroarbeit. "Die ganze Behörde hat Kopf gestanden", sagt die Lüneburger Tupper-Chefin grinsend, "keiner hat verstanden, wie man für Plastikschüsseln einen Job bei der Behörde aufgeben kann".

Das Tupper-Sortiment ist zu diesem Zeitpunkt schon enorm gewachsen, der Kreis der Kunden und Beraterinnen ebenfalls. "Umständlich und beengt" sei die Arbeit in den Kirchgellerser Räumlichkeiten gewesen, sagt Haider. Aber irgendwie ging's schon. Bis 1989. Dann kommt die Wende, und der Laden explodiert förmlich.

"Die haben bei uns Schlange gestanden, um als Beraterin arbeiten zu können." Haider schüttelt den Kopf. "Man muss bedenken: Früher haben die 380 Mark im Monat verdient, beim Tuppern dann auf einmal 100 Mark an nur einem Abend. Manche habe sechs bis sieben Vorführungen pro Woche gemacht. Die kamen jede Woche mit ihren Trabbis zum Meeting. Das ganze Dorf hat gestunken!" Sogar aus Danzig sei einmal im Monat eine Frau gekommen, sagt die Tupper-Chefin: "Die hat dann später die erste Bezirkshandlung Polens gegründet."

Insgesamt 260 Frauen aus den neuen Bundesländern arbeiten von nun an für Margret und Peter Haider. Der Laden boomt: "Mit ihrem Fleiß haben die ostdeutschen Frauen unsere westlichen Damen gewaltig unter Zugzwang gesetzt." Dann werden in den neuen Bundesländern Bezirkshandlungen gegründet und der Spuk hat ein Ende. Den Höhepunkt ihrer Tupper-Karriere haben die Haiders aber noch nicht erreicht. Am 1. Mai 1995 eröffnen sie die Bezirkshandlung in Wetzen: Endlich passen Lager, Büros und Veranstaltungsräume unter ein Dach. 1997 feiert das Ehepaar mit einem rauschenden Fest ihr 30-jähriges Jubiläum; Peter Haider verstirbt überraschend nach den Feierlichkeiten. Und verpasst so, wovon er immer geträumt hat: 2005 werden die Lüneburger als beste deutsche Bezirkshandlung ausgezeichnet.

Heute scheint der Zenit im Hause Tupperware überschritten. Denn längst bieten andere Firmen ähnlich gute Produkte zu weitaus geringeren Preisen an. Auch das Interesse am Beraterinnen-Job lässt nach: Waren es früher zeitweise bis zu 800 Frauen, die für die Wetzener Bezirkshandlung Tupperware vorführten, ist es jetzt nur noch etwa die Hälfte. "Heute sind meisten Frauen ohnehin berufstätig", sagt Haider. Auch die erweiterten Öffnungszeiten im Einzelhandel seien ein Problem.

Trotzdem ist die Tupperparty für Margret Haider kein Auslaufmodell. Ihre Begründung: "Frauen müssen regelmäßig schnacken. Die werden krank, wenn sie sich nicht regelmäßig unterhalten können. Auch deshalb ist und bleibt Tupperware aktuell."