Zahl älterer Menschen, die Hilfe bei Präventions- und Beratungsstellen suchen, ist in Lüneburg gestiegen. Broschüre zu Thema geplant.

Lüneburg. Nachdem ihr Mann mit nur 64 Jahren gestorben war, fiel Elisabeth Winkler* in ein tiefes Loch. 45 Jahre lang war das Paar verheiratet gewesen, hatte sich gemeinsam etwas aufgebaut und Kinder großgezogen. Der Verlust ihres Mannes traf die lebenslustige Frau unvorbereitet. Obwohl sie in ihrem Leben bis zu diesem Zeitpunkt nur selten Alkohol getrunken hatte, suchte Winkler von da an Trost in Sherry, Schnaps und Rotwein. "Meine Kinder haben sehr darunter gelitten. Wenn ich gefallen bin, das tat einen Schlag, den hörte man im ganzen Haus. Dann kam mein Sohn angerannt und hat mich ins Bett gelegt. Irgendwann hat er gesagt: 'Wenn du nichts unternimmst, kommst du fort'."

In Deutschland kämpfen derzeit mehr als eine Million Männer und Frauen über 65 mit einem Alkoholproblem. Die Zahl suchtkranker Menschen im Rentenalter steigt. Mitverantwortlich ist dafür der demografische Wandel, der Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung wird in den nächsten Jahren weiter rasant anwachsen. Damit steigt auch die Nachfrage für Hilfs- und Beratungsangebote in den Städten und Gemeinden.

+++ Alkoholsucht und wie man erste Anzeichen erkennt +++

In Lüneburg bestätigt sich dieser Trend. Albrecht von Bülow, der in der Fachstelle für Sucht- und Suchtprävention Drobs arbeitet, hat zum Thema Sucht im Alter kürzlich aktuelle Daten ausgewertet. "Wir haben festgestellt, dass die Zahl derjenigen über 60, die in unsere Beratungsstelle kommen, in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Im Jahr 2000 kamen 27 Klienten, 2008 nahmen im gleichen Zeitraum 44 Männer und Frauen unser Angebot zur Suchtberatung an." Gefragt nach Ursachen für das Abgleiten in eine Suchterkrankung nennt Psychotherapeut Albrecht von Bülow verschiedene Gründe. "Der Abschied aus dem Berufsleben stellt neue Herausforderungen an die Betroffenen. Gleichzeitig sinkt bei vielen die Zahl sozialer Kontakte, und im zunehmenden Alter steigt zugleich die Gefahr, dass der Partner, Freunde oder Familienangehörige sterben."

Helga Schusters* Mann lebt, aber der Alzheimer-Patient hat nichts mehr von dem zupackenden Mann, in den sich die zierliche Rentnerin als Teenager verliebte. Sieben Jahren lang hat Schuster ihren Mann zu Hause gepflegt, sich um ihre Familie gekümmert und sich wie seit mehr als 20 Jahren in der Kirchengemeinde engagiert. Dass sie ihren Alltag irgendwann nur noch mit Brandwein durchstand, merkte niemand. "Betrunken war ich nie, ich habe nicht gelallt oder meine Pflichten vernachlässigt. Ich war reine Spiegeltrinkerin", sagt die Mutter einer Tochter.

"Sucht im Alter ist bislang ein Tabu-Thema", sagt Ingeborg Holtenhoff-Schulte von der Landesstelle für Suchtfragen Niedersachsen. Häufig fallen die Betroffenen nicht auf, vor allem, wenn sie allein leben und wenig Kontakt zu ihrem Umfeld haben. Wer in einem Pflegeheim lebt, ist nicht automatisch vor Suchtgefahren geschützt. Welche Regeln gelten, legt die jeweilige Hausordnung fest. In vielen Einrichtungen entscheiden die Bewohner selbst, ob sie in ihrem Zimmer rauchen. Pflegeheime sind im Gegensatz zu Krankenhäusern von den Bestimmungen des Nichtraucherschutzgesetzes ausgenommen. Auch über ihren Alkoholkonsum können die Bewohner häufig allein bestimmen.

Fest steht, wer in einem Seniorenheim lebt, ist eher gefährdet eine Medikamentenabhängigkeit zu entwickeln. "20 Prozent der Senioren mit Pflegestufe 1, die ambulant betreut werden, nehmen regelmäßig Schlaf- oder Beruhigungsmittel. Im Pflegeheim werden 40 Prozent der Patienten mit Pflegstufe 1 mit diesen Medikamenten behandelt", sagt Ingeborg Holtenhoff-Schulte. Mittlerweile haben sich Suchtkliniken auf das ältere Klientel eingestellt. "Im Rahmen unserer suchtmedizinischen Stationen können wir auch die speziellen Problemlagen älterer Patienten berücksichtigen", sagt Angela Wilhelm, Sprecherin der Psychiatrischen Klinik Lüneburg. Sorge bereitet Holtenhoff-Schulte die Tatsache, dass auch die erste Generation langjähriger Konsumenten illegaler Drogen, wie Heroin oder Kokain, langsam ins Rentenalter kommen. "Aufgrund der besseren medizinischen Betreuung, viele Heroinsüchtige erhalten Ersatzstoffe wie Methadon, werden die Abhängigen heute älter. Da wird in den kommenden Jahren eine Welle auf uns zurollen", sagt Holtenhoff-Schulte.

Helga Schuster besucht ihren Mann oft im Pflegeheim. Sie ist seit zwölf Jahren trocken. Der Anfang war schwer, aber die Unterstützung ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns haben ihr Kraft für ein Leben ohne Brandwein gegeben. "Nach dem ersten alkoholfreien Tag war ich 17 Tage in der Klinik. Als ich das Krankenhaus verlassen habe, stand für mich auch fest, dass ich eine Therapie machen würde." Mit ihrer Krankheit geht die 74-Jährige offen um. Auch Elisabeth Winkler hat den Kampf gegen die Sucht angenommen. In den vier Monaten, die sie in einer Fachklinik verbracht hat, hat sie viel über ihr Leben nachgedacht. "Das war wie ein Geschenk für mich", so die 86-Jährige.

Damit Abhängigkeitserkrankungen im Alter gar nicht erst entstehen, ist vor mehr Aufklärung nötig. "Momentan zeigt sich, dass vor allem in der Altenpflege akuter Informationsbedarf zum Thema Sucht besteht", sagt Albrecht von Bülow. In Hannover wurde das Problem erkannt.

"Wir arbeiten gerade an einer aktuellen Broschüre zum Thema, die ab Juli in allen Seniorenservicebüros in Niedersachsen ausliegen soll", sagt Ingeborg Holtenhoff-Schulte. Darin sollen die Angebote für Senioren zusammengefasst sein und Ansprechpartner genannt werden.

*Name geändert