Infusionen dürfen künftig ohne ärztliche Anordnung gewechselt werden. Lüneburger Pflegekräfte begrüßen das, fordern aber mehr Geld und Personal.

Lüneburg. Pflegekräfte sollen künftig ärztliche Aufgaben übernehmen. Das ist klar, denn so hat es der Bundestag in seiner Heilkundeübertragungsrichtlinie beschlossen. Ganz und gar nicht klar ist aber, wie das Ganze in der Realität umgesetzt werden soll. Michael Kossel, Pflegedirektor am Klinikum Lüneburg, lud deshalb kürzlich zu einem Informationstag für Pflegefachkräfte ein.

"Berufspolitisch ist das eine sehr gute Sache", findet Kossel, "ein reiner Heilhilfsberuf wird zu Recht in Richtung Heilberuf aufgewertet." Diverse Modellversuche in den vergangenen Jahren hätten gezeigt, dass Pflegekräfte gewisse ärztliche Tätigkeiten wie beispielsweise Blutentnahmen, Wundmanagement, das Legen von Kathetern oder Braunülen und auch das Ausschreiben von weiterführenden Rezepten hervorragend übernehmen könnten.

Elisabeth Börner-Gleiß, Oberin des Ambulanten Pflegediensts und des Alten- und Pflegeheims der DRK-Augusta-Schwesternschaft, sieht das genauso. "Pflegekräfte können viel mehr als nur Inkontinenzvorlagen wechseln und Essen anreichen. Sie sind geschult im Umgang mit Medikamenten und kennen sich hervorragend mit Krankheitsbildern aus." Die Pflege sei heute schon sehr viel besser als ihr Ruf: "Unsere Ausbildung ist hochwertig, und wir sind intellektuell sehr wohl in der Lage, verantwortungsvolle Aufgaben zu erledigen und gegebenenfalls dafür zu haften." Bislang lag die Haftung beim anordnenden Arzt.

De facto würden viele der fraglichen Tätigkeiten bereits in den Pflegeschulen unterrichtet und im Alltag auch ausgeführt, sagt Börner-Gleiß. Eine bis zu halbjährige Zusatzausbildung, wie sie die neue Richtlinie zwingend vorschreibt, hält sie deshalb für überflüssig. "Die zusätzlichen Inhalte könnte man gut in der dreijährigen Ausbildung unterbringen. Was wir brauchen, ist eine generalistische Ausbildung, die die Alten- und die Krankenpflege vereint." So könne auch dem Personalmangel gerade im Bereich der Altenpflege entgegengewirkt werden.

Fachreferent Roßbruch sieht noch ein weiteres Problem, das sich aus der neuen Richtlinie ergibt. "Jede Krankenpflegeschule und jede Hochschule soll laut Gesetzgeber ihr eigenes, individuelles Curriculum für die Zusatzqualifikation stricken", sagt er. Dabei könne die Schule selbst entscheiden, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten in die Ausbildung aufgenommen werden sollen - es müssten nicht alle Tätigkeiten gelehrt werden, die die Richtlinie vorschreibe.

Als Konsequenz befürchtet Roßbruch einen "Flickenteppich aus unterschiedlichen Zusatzqualifikationen". Wie lange die Zusatzausbildung dauern soll, wie hoch die Theorie- und Praxisanteile sein werden und wer die ganze Sache aus welchem Topf finanzieren soll, bleibt laut Roßbruch ungeklärt.

Überhaupt, die Finanzierung. "Wir übernehmen diese Tätigkeiten gerne", sagt Pflegerin Börner-Gleiß, "aber wir wollen dafür auch vernünftig bezahlt werden." Wie die verschiedenen Leistungen aber abgerechnet werden sollen, steht noch nicht fest. "Der kassenärztliche Bundesverband ist derzeit dabei, die Einzelheiten der Richtlinie mit den Kassen abzustimmen", sagt Torsten Schulz-Widdecke, der bei der Lüneburger Geschäftsstelle der AOK für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Bis der Leistungskatalog aufgestellt sei, werde es wohl noch ein Weilchen dauern. Eines glaubt er aber jetzt schon zu wissen: "Eine Krankenschwester wird für eine Blutentnahme sicherlich nicht so viel Geld bekommen wie ein Arzt." Sind die Rahmenbedingungen geklärt, müssten sich ambulante Pflegedienste an die örtlichen Krankenkassen wenden, um entsprechende Verträge auszuhandeln.

Die finanzielle Anerkennung ist aber nicht alles. Börner-Gleiß: "Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Wertschätzung. Wir wollen auf Augenhöhe mit den Ärzten arbeiten. Unsere Arbeit ist ebenso wertvoll."

Diese sind indes nicht sehr erfreut über die Gesetzesänderung. "Es macht Sinn, wenn Pflegekräfte in ländlichen und strukturschwachen Regionen wie beispielsweise in Ostdeutschland ärztliche Aufgaben übernehmen, damit die medizinische Versorgung dort gewährleistet ist", sagt Oliver Christoffers, Geschäftsführer der Lüneburger Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. "Aber grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass Delegation besser ist als Substitution. Die Bindung zum Arzt und auch das Wissen um den gesundheitlichen Zustand eines Patienten bleiben viel besser erhalten, wenn die Behandlung primär vom Arzt und dessen Praxismitarbeiterin erfolgt und nicht auf Dritte übertragen wird."

Der Pflegedirektor am Lüneburger Klinikum Kossel sieht einen anderen Grund für die ablehnende Haltung der Ärzte: "Wenn Pflegekräfte künftig Blut abnehmen, Wunden versorgen und weiterführende Rezepte ausstellen können, gehen weniger Leute zum Arzt. Das bedeutet unter Umständen große finanzielle Einbußen."