Visionen 2030: Oberbürgermeister über ein Lüneburg der Zukunft. Dann wird Lüneburg mehr als 100 00 Einwohner haben und kreisfrei sein.

Lüneburg. Bis vor zehn Jahren hat Ulrich Mädge noch Helmut Schmidt zitiert: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Heute nennt er Visionen Ziele - und hat sie, ohne deswegen einen Termin mit einer Sprechstundenhilfe zu vereinbaren. Mit einem Gespräch über Lüneburg im Jahr 2030 setzt die Lüneburg-Ausgabe des Hamburger Abendblatts die Reihe "Visionen 2030" mit Verwaltungschefs fort.

18 Jahre sind es noch bis dahin, und in 18 Jahren wird Ulrich Mädge nicht mehr an der Spitze von Lüneburger Stadtverwaltung und Politik stehen. Dann wird er ehrenamtlich am Steuer eines Bürgerbusses sitzen, sagt er, um für mehr Mobilität in den Stadtteilen und weniger Autos im Stadtgebiet zu sorgen.

"Visionen sind Ziele, und um Ziele zu erreichen, muss man viele Akteure mitnehmen. Für Visionen muss man werben", sagt der Mann, der seit 1996 als hauptamtlicher Oberbürgermeister sagt, wo es lang geht in der Stadt.

+++Wie wir im Jahr 2030 arbeiten werden+++

Die erste Vision, die Ulrich Mädge für ein Lüneburg hat, das nicht 18, sondern fünf bis zehn Jahre voraus liegt, ist ihm die wichtigste, sagt er. Denn: "Projekte kann jeder umsetzen, sie sind von Geld und Personen abhängig. Ich aber möchte einen Rahmen stecken." Und der soll eine Bürgergesellschaft sein, eine Stadtbürgerschaft, die mehr mitbestimmt und sich mehr einbringt als heute.

Kritische Nachbarn, ein zunehmender Diskurs in der Stadt, immer mehr Nachfragen bei Bürgerversammlungen scheinen auch an dem langjährigen Verwaltungschef nicht spurlos vorüber gegangen zu sein.

"Ich wünsche mir ein Gefühl, dass alle gemeinsam die Stadt sind. Das betrifft auch Fragen des Umgangs miteinander." In den vergangenen Jahren seien solche Fragen durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zerfallen - "es ging eigentlich immer nur ums Geld". Jetzt sei es an der Zeit, Interessen zu vereinbaren, unter einen Hut zu bringen, "und den Bürgern verstärkt zu erklären, wohin es gehen soll".

Passiert das nicht, sagt der Verwaltungschef, "bekommen wir Probleme in den Städten. Mich treibt die Frage wirklich um, wie das zu lösen ist, welche Formen wir dafür neben Bürgerversammlungen und Foren finden. Die Bürgerschaft soll individueller selbst bestimmen."

Vision zwei, sagt Ulrich Mädge, ist für ihn das Thema Nachhaltigkeit: "Wie lebe ich, was esse ich, wie organisiere ich Mobilität und Generationengerechtigkeit." Mädge ist ein Befürworter der starken Stadtteilarbeit, der Dezentralisierung. Und so sieht er Lüneburg im Jahr 2030 als eine Stadt mit Stadtteilen, die jeweils das komplette Angebot selbst vorhalten: von der Krippe über Schulen bis zu Seniorenwohngruppen mit individueller Betreuung. Mit gemeinsam gestalteter Energiebeschaffung und Mobilität - etwa Blockheizkraftwerken oder eben Bürgerbussen, die von Ehrenamtlichen gefahren werden und für deren Anschaffung der Staat Geld beisteuert.

"Mein Ziel ist weniger Individualverkehr, wir müssen den gesamten Verkehr anders organisieren, damit wir keine Zuwächse mehr an Pkw verzeichnen. Die Autobahn brauchen wir trotzdem, einen Hafen haben wir hoffentlich für eine ökologische Form des Transports - und ob wir 2030 noch einen Flughafen brauchen, weiß ich nicht." Energieautark werde die Region nicht sein im Jahr 2030, wohl aber ihren Bedarf aus 100 Prozent Erneuerbaren Energien decken können.

Lüneburg im Jahr 2030 wird auch keine Ortsräte mehr in der bisherigen Form haben, schätzt Ulrich Mädge. Er stellt sich gewählte Gremien vor, die Bürgerbeiräten ähnlich sind, "nicht über Parteien oder Wahlperioden organisiert" sind. "Wir werden eine Renaissance der Ortsräte erleben, aber in größerer Form." Mehr Selbstverwaltung im Stadtteil ist das Motto - und wieder: mehr Beteiligung.

Lüneburg zählt im Jahr 2030 mehr als 100 000 Einwohner, diese Vision hat Ulrich Mädge schon seit Jahren - und gibt sie nicht auf. "Lüneburg ist dann entweder kreisfrei oder zumindest so selbstständig, dass wir selbst über das verfügen können, was wir erwirtschaften. Lüneburg wird überregional wahrgenommen und ist ein starker Partner auf Augenhöhe in der Metropolregion Hamburg." Die Stadt dürfe nicht länger durch Alimentation schwächerer Kommunen selbst geschwächt werden. "Lüneburg soll nicht unsolidarisch sein, aber eine Region kann nur mit einer starken Stadt stark sein." Und mit 100 000 Einwohnern, sagt Ulrich Mädge, kann Lüneburg wirtschaftlich existieren: "Schulden an sich sind nicht immer schlecht. Wir dürfen sie aber nicht für unsere laufenden Aufgaben machen, sondern mit unserem Einkommen auskommen. Mit 100 000 Einwohnern ginge das."

Trotz aller Kritik der Nachbar-Verwaltungschefs im Jahr 2011 und davor: Ulrich Mädge hält an seiner Vision fest. Und ist sicher, dass ihm andere folgen werden. "Ich glaube, dass die Einsichtsfähigkeit immer stärker einsetzt. Man muss Verbünde schaffe, um Stärke zu erhalten. Es wird bei manch einem ein Umdenken geben. Meine Vision ist auch, dass ich auf eine neue Generation Ratsleute setze, die sich lösen von den Grabenkämpfen der 70er Jahre und nach vorne schauen."

Lüneburg wird 2030 auch ohne Verschmelzung mit Nachbarn an Einwohnern zugelegt haben. "Städte sind Regionen der Verdichtung. Es werden Orte öd fallen, die Konzentration wird auf die Städte fallen. Die Menschen entscheiden sich nach der Lebensqualität, den ein Wohnort bietet. Wir werden an einen Rand kommen, aber wir werden auch andere Formen der Verdichtung finden: zum Beispiel Abriss und Neubau. Mein Traum: Kaltenmoor ohne Hochhäuser."

Neben Visionen hat Lüneburgs Verwaltungschef auch Wünsche: ein besseres Theater- und Kulturangebot zum Beispiel, eine bessere Finanzausstattung, und das Ende der bislang alle drei Jahre wiederkehrenden Diskussion, ob Lüneburg sich sein Theater leisten könne. "Kultur ist ein Bindeglied. Das müssen wir stärken." 2030 soll denn auch das neue Museum an der Wandrahmstraße mit dem vergrößerten Salzmuseum einzig darum konkurrieren, wer beliebter bei den Besuchern ist. Und einen Wunsch hat Ulrich Mädge für 2030 noch: "Dass wir nicht länger auf die Ruine des Kraftwerks Krümmel schauen, sondern dass sie weg ist."