Ungewöhnliches Projekt “Ziegen und Ziele“ der Volkshochschule Lüneburg lehrt junge Menschen Verantwortung und hilft beim Hauptschulabschluss.

Lüneburg/Tosterglope. Heute wird ein Kletterhügel für die Ziegenherde gebaut: Unter Anleitung des Sozialpädagogen Arnold Schütte arbeiten Isabelle, Dennis, Lisa und Sascha Hand in Hand auf der Weide in Tosterglope. Die Arbeit ist anstrengend, der Wind auf dem freien Feld ist kalt, die Sonne blinzelt nur selten zwischen den Wolken hervor - aber Spaß macht die Arbeit den Jugendlichen offenbar trotzdem.

Es sieht auf den ersten Blick nicht so aus, aber was hier passiert, gehört zu einer Weiterbildungsmaßnahme: Alle vier Jugendlichen werden in Kürze ihre Prüfungen für den Hauptschulabschluss bei der Landesschulbehörde nachholen - nachdem sie im ersten Anlauf damit gescheitert sind.

Geholfen hat ihnen das Projekt "Ziegen und Ziele" der Volkshochschule Lüneburg, das die Jugendlichen mit einer zehnmonatigen Maßnahme auf den Weg zu einer abgeschlossenen Schulbildung bringt. "Die Vier hier, die schaffen das", sagt Wiard Christoph Scherz. Er ist Kursleiter und Pädagoge in der Erwachsenenbildung und hat Dennis, Sascha, Lisa und Isabelle fast ein Jahr lang auf ihrem Weg durch Theorie und Praxis bis zum Schulabschluss begleitet, beraten und unterrichtet. Finanziert wird der Unterricht über einen Bildungsfonds der Volkshochschule.

Die Teilnehmer an dem Projekt beschäftigen sich aber nicht nur mit Mathematik, Deutsch und Englisch. Sie betreuen eben auch die Ziegenherde von Arnold Schütte in Tosterglope, übernehmen Verantwortung, leisten praktische Arbeit auf dem Feld. "Die Tiere leisten für das Gelingen des Projekts einen wichtigen Beitrag. Die Ziegen sind neugierig, ihrem Charme kann man sich auf Dauer nicht entziehen", sagt Arnold Schütte, der eine Zusatzausbildung als Pädagoge hat. Bündner Strahlenziegen sind es, die er hält, eine gefährdete Tierart, deutlich robuster als andere Rassen, aber nicht ganz so ergiebig in der Milchausbeute.

Sascha, Lisa, Isabelle und Dennis sind inzwischen mit den Tieren und ihren Eigenarten vertraut - die Arbeit mit ihnen hat geholfen, den Blick auf das zu schärfen, was wirklich wichtig ist. Insbesondere Sascha hat einen weiten Umweg genommen, bevor er sich auf Schule und Ausbildung konzentrieren konnte: Ein Gefängnisaufenthalt hat ihm gezeigt, dass er auf dem falschen Weg war. "Im Gefängnis zu sitzen, das ist vertane Zeit" - da sind Sascha und Dennis sich absolut einig. Inzwischen ist Sascha 26 Jahre alt, Vater eines kleinen Kindes - und weiß genau, was er noch erreichen will. Ein solides, berufliches Standbein will er sich schaffen: Nach dem Hauptschulabschluss möchte er die Berufsfachschule für Wirtschaft besuchen. "Ich will im kaufmännischen Bereich arbeiten", sagt er - die abgeschlossene Ausbildung ist derzeit das Wichtigste, nur keine Zeit mehr vertrödeln. Seine Familie reagiert positiv auf den Weg, den er jetzt nimmt, sagt Sascha. "Einfach ein geregeltes Umfeld haben, ich finde das inzwischen wichtig."

Zeit verschwenden, das will Dennis auch nicht mehr. Er ist zwanzig Jahre alt, hat die erste wichtige Prüfung seines Lebens vor sich und will danach - eventuell mit Hilfe eines Realschulabschlusses - Physiotherapeut werden. "Vielleicht mache ich aber auch etwas im Einzelhandel", sagt er - so oder so, diesmal ist auch für ihn wichtig, dass es gelingt.

Isabelle ist sicher, dass sie nach dem Hauptschulabschluss weiter zur Schule geht. Den Realschulabschluss möchte sie haben, das steht fest. Aus familiären Gründen war ihre Schulzeit schwierig, der erste Anlauf in Sachen Hauptschulabschluss klappte nicht.

Altenpflegerin möchte sie werden - und an die Zeit mit den Ziegen wird sie zurückdenken, wenn sie vorbei ist. "Ich hatte mir das Ganze ein bisschen einfacher vorgestellt. Aber inzwischen finde ich die Arbeit interessant. Die Tiere sind jedenfalls lieb", sagt sie - und überhaupt nicht kontaktscheu. Insbesondere die jungen Ziegen lassen sich gern anfassen - Ziegendame Franka untersucht auch gern die Taschen ihrer Menschen nach Futter oder interessantem Spielzeug. Spaß macht das auch Lisa - sie würde gern Polizistin werden, wenn sie die erforderliche Qualifikation erreicht hat.

"Diese jungen Leute gehen ihren Weg", sagt ihr Projektleiter -gemeinsam mit Arnold Schütte hat er eine funktionierende Gruppe aus den Teilnehmern gemacht. "Sie müssen die Schüler erreichen mit dem, was Sie machen. Niemanden aussondern, sondern die Menschen so akzeptieren, wie sie sind", sagt Wiard Christoph Scherz.

Mehr Informationen gibt es bei Helga Buß, Telefon 04131/1566101.