Etwa 500 Lüneburger demonstrierten am 1. Mai bei Frühlingswetter für “gute Arbeit in Europa“. Die Gewerkschaften haben wieder mehr Zulauf.

Lüneburg. Sommer, Sonne, Heiterkeit: Bei der traditionellen Kundgebung zum 1. Mai herrschte am gestrigen Dienstag auf dem Lambertiplatz fast schon Gartenfest-Atmosphäre. Vielleicht lag es auch am guten Wetter, dass sich ungewöhnlich viele Lüneburger dem Marsch anschlossen: An die 500 Demonstranten marschierten, begleitet von den Lüneburger Schrotttrommlern, durch die Innenstadt zum Lambertiplatz - das sind fast zehnmal so viele wie im vergangenen Jahr.

"Die Gewerkschaften werden wieder positiver wahrgenommen", sagt auch Matthias Hoffmann, ver.di-Geschäftsführer des Bezirks Lüneburger Heide. Ganz konkret sichtbar sei diese Tatsache bei den Mitgliederzahlen. "Wir haben im ersten Quartal 2012 einen realen Zuwachs von 1,11 Prozent. Das ist eine absolute Kehrtwende."

Als Ursache für das gestiegene Interesse an der Gewerkschaftsarbeit sieht Hoffmann zum einen die "sehr erfolgreich verlaufenen" Tarifverhandlungen beispielsweise im Öffentlichen Dienst, zum anderen die wachsende Unsicherheit der Bürger aufgrund der europäischen Finanzkrise. "Die Leute haben Angst um ihren Job", sagt Hoffmann.

Bewegen könne man als Gewerkschaft aber nur etwas, "wenn möglichst viele mit anpacken". Das sei in einem Flächenland wie Niedersachsen schwierig: "Die Entfernungen sind zu groß, und die Büros in den strukturschwächeren Gegenden wie Lüchow-Dannenberg, Soltau oder Uelzen sind nur mit Ehrenamtlichen besetzt. Dabei haben gerade diese Büros vor Ort eine ganz, ganz wichtige Funktion." Um künftig noch mehr Ehrenamtliche zu gewinnen und so die aktive Gewerkschaftsarbeit auf dem Land fortführen oder sogar intensivieren zu können, hat sich Matthias Hoffmann eine neue Strategie ausgedacht: Von Mitte Mai an werden alle 190 ver.di-Funktionäre der Region angerufen und zu ihrem Engagement befragt.

Interesse an gewerkschaftlicher Arbeit schien aber zumindest gestern bei der Veranstaltung zum 1. Mai reichlich vorhanden zu sein. Schwerpunkt der Kundgebung war die derzeitige Europapolitik. "Die Probleme in vielen europäischen Ländern haben ihren Ursprung auch in Deutschland. Und sie werden auch über uns hereinbrechen, wenn wir so weitermachen", wetterte Lennard Aldag, Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes Region Nord-Ost-Niedersachsen, von der Bühne auf dem Lambertiplatz. Deutschland sei "keine Insel der Glückseligen", die Stabilität nur scheinbar. Denn wenn in Griechenland im Zuge der Sparmaßnahmen die Löhne gesenkt werden, so würde sich das auch in Deutschland negativ auswirken, so Aldag weiter. "Schon jetzt arbeitet ein Fünftel der Deutschen für Niedriglöhne. Das ist beschämend und ungerecht!"

Auch der Hauptredner des Tages, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, prangerte die Sparmaßnahmen in Griechenland an. Deutschland, so Witthaut weiter, sei das viertreichste Land der Welt. "Da müsste es uns doch eigentlich ganz prächtig gehen." In Wirklichkeit würde aber "länger geschuftet als je zuvor", die psychische Belastung im Beruf sei häufig immens. "Wir müssen uns wehren gegen Leute, die in der Ecke sitzen und zocken und alles in ihre eigene Tasche wirtschaften!"

Das Thema Europa beschäftigt in weiterem Sinne auch die Lüneburger Busfahrer, die mit rund 20 Mitarbeitern zum ersten Mal an der Lüneburger 1.-Mai-Demo teilnahmen. "Unsere Branche wird zunehmend von ausländischen Fachkräften unterwandert", sagt Liona Hopp, Betriebsrätin der Lüneburger Busfahrer. "Dabei gibt es viele Leute im eigenen Land, die auch sehr gut fahren können und dies zu einem anständigen Lohn tun wollen. Wir wollen zeigen, dass wir zu dem stehen, was wir über Jahrzehnte erarbeitet haben."

Kreativ haben sich die Lüneburger Jusos auf die Demonstration vorbereitet: Sie trugen eine Papiertüte über den Kopf, über der Brust hing ein Schild: "Hinter jeder Tüte steckt ein kluger Kopf", stand darauf geschrieben. "Wir kämpfen vor allem für gerechte Löhne und Arbeitszeiten. Außerdem wollen wir erreichen, dass junge Leute nach der Ausbildung auch übernommen werden, und zwar unbefristet. Das sollte heutzutage eigentlich selbstverständlich sein", erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Lüneburger Jusos, Bianca Leufgen.

Kämpferisch gab sich Karlheinz Fahrenwaldt von den Linken. "Die Gewerkschaften sind immer nur so stark wie die Leute, die da mitmachen. Deshalb sind wir hier: um die Gewerkschaften zu unterstützen." Auch die jüngst errungenen Tarifabschlüsse seien "nicht ausreichend", so der 65-Jährige. "Wir müssen den Kampf weiterführen. Wenn wir jetzt aufgeben, werden die Arbeitnehmer noch mehr geknebelt!"