Rundschau-Interview mit dem Strahlenschutzexperten Dr. Diethelm Stehr

Lüneburg/Harburg. Abschalten und dann? Sollte das AKW Krümmel nicht zur "stillen Reserve" gehören, also auf Stand-by gehalten werden, könnte es wie einst die Anlage in Stade, rückgebaut werden. Wie das vonstatten geht, weiß der Harburger Physiker Dr. Diethelm Stehr, aus eigener Erfahrung. Im Auftrag des TÜV Nord hatte der Strahlenschutz-Experte dabei geholfen, sowohl die Anlagen in Stade als auch in Greifswald abzutragen. Der 66-Jährige im Rundschau-Interview.

Hamburger Abendblatt:

Was muss beim Rückbau eines Kernkraftwerks beachtet werden?

Diethelm Stehr:

Das ist zunächst eine teure Angelegenheit. Während der Bau eines Kraftwerks etwa zehn Milliarden Euro kostet, verschlingen die Rückbauarbeiten mindestens zwei Milliarden Euro. Es dürfte etwa acht Jahre dauern, die Anlage Krümmel zu deaktivieren und zu dekontaminieren. Während die Dekontaminierungsmaßnahmen erforscht und erprobt sind, kann es bei der Deaktivierung zu Schwierigkeiten kommen.

Worin bestehen diese Probleme, weshalb ist es so zeitaufwendig und wo lauern die Gefahren während der Arbeiten?

Stehr:

Alle Schritte müssen sorgfältig gemacht werden, das dauert seine Zeit. Die Dekontaminierungskette wird sorgfältig überwacht. Das im wahrsten Sinne des Wortes heißeste, gefährlichste Teil des Siedewasserreaktors Krümmel ist der Reaktorbehälter. Hier wird durch Steuerstäbe Dampf erzeugt, damit die Turbinen Strom produzieren. Diese Stäbe sind radioaktiv, Kernspaltungsprozesse sind aktiv. Unter Strahlenschutzaspekten dauert es am längsten, diese Teile zu deaktivieren, zu dekontaminieren und zu entsorgen. Die Turbinen sind mit radioaktivem Jod bekleckert. Das ist ebenso schwierig, zu dekontaminieren.

Damit ist es noch nicht getan, oder?

Stehr:

Nein, es gibt radioaktiven Müll en masse. Das ist ein Mengenproblem. So befinden sich in der Anlage Filter, die Radioaktivität zurückhalten müssen. Die sind etwa so groß wie eine Schrankwand und ebenfalls kontaminiert. Sie werden zu einer Wiederaufbereitungsanlage nach Schweden gebracht, dort gereinigt, auf Konservendosengröße gepresst und dann in ein sicheres Endlager gebracht. Eisenteile sind mit radioaktivem Staub versehen. Die werden mit einem Sandstrahler behandelt, der Staub wiederum muss gereinigt werden. Oberflächen müssen dekontaminiert werden, Wäsche muss in eine Spezialreinigung. Das Brauchwasser muss wiederum geklärt werden. Und immer wieder muss nachgemessen werden.

Es sind sehr aufwendige Prozesse, die nachvollzogen werden müssen, ehe es dann zum konventionellen Abbruch der Restgebäude kommen kann.