Büchen/Lüneburg. Erneut häufen sich Verspätungen und Zugausfälle. In der Politik wächst die Verärgerung. Betreiber büßt Millionen ein.

Zunächst hatte das Land Schleswig-Holstein den Ball flach gehalten. Mit der Übernahme der Bahntrasse Kiel - Lübeck - Büchen - Lauenburg - Lüneburg durch Erixx Holstein war es schon im Dezember 2022 zu massiven Problemen gekommen. Nach mehreren Notfahrplänen und einer zeitweiligen Beruhigung ereignen sich nun wieder vermehrt Zugausfälle und Verspätungen.

Kiel hat jüngst den Druck auf Erixx erhöht. Doch Landtagsabgeordnete aus Nord-Niedersachsen und viele Kunden sind mit ihrer Geduld am Ende: Sie fordern schärfere Sanktionen bis hin zur Prüfung, wie der auf 13 Jahre abgeschlossene Vertrag mit Erixx Holstein rasch beendet werden kann.

Vertrag mit Erixx kündigen? Niedersachsen fordern Prüfung

Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen verweist Beschwerdeführer aus dem Großraum Lüneburg auf das nördliche Nachbarland. In der Verantwortung ist der Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein, Nah.SH. Das Land hat inzwischen die sogenannte Vertragskrise ausgerufen, bestätigte jüngst Verkehrsstaatssekretär Tobias von der Heide in Kiel.

Die Einbußen von Erixx Holstein allein durch einbehaltenen Zahlungen der öffentlichen Hand addieren sich inzwischen nach Informationen unserer Redaktion auf einen weit einstelligen Millionenbetrag – allein bis Ende März büßte Erixx rund 3,1 Millionen Euro ein.

Dazu kommen pauschale Zahlungen für Zugausfälle und Verspätungen an Kunden wie auch Entschädigungsforderungen genervter Fahrgäste. Plus Mehrkosten, weil fehlende Lokführer durch teure Leiharbeiter ersetzt werden.

Nächste Eskalationsstufe: Die Vertragskrise

Mit der ausgesprochenen Vertragskrise sei die nächste Eskalationsstufe erreicht, erläutert Arne Beck, Chef des landeseigenen Nahverkehrsunternehmen Nah.SH. Ziel der Maßnahme sei es, „Erixx dazu zu veranlassen, wieder vertragsgemäßen Verkehr anzubieten“. Probleme im öffentlichen Verkehr träten jedoch landes- und bundesweit auf, so Beck.

Kernproblem sei der Personalmangel. In Hessen etwa fielen einige Leistungen komplett aus. In Schleswig-Holstein bereiten Schienen- und auch Busverkehr Probleme. Neben der Landeshauptstadt sind auch Husum und St. Peter-Ording betroffen, „Fahrpläne sind ausgedünnt worden“, so Beck.

Die Probleme von Erixx nehmen kein Ende

Fakt sei jedoch zugleich, „Erixx Holstein trägt die Verantwortung für das laufende Geschäft“, in seinem Zuständigkeitsbereich. Wobei Erixx außer unter Personalmangel unter weiteren Schwierigkeiten leidet: Das Unternehmen ist abhängig von dem von DB Regio zur Verfügung gestellten Zugmaterial. Zudem sorgen Gleisbauarbeiten etwa im Großraum Büchen wie auch die Ertüchtigung des Bahnhofs Echem vor Lüneburg für zusätzliche Schwierigkeiten.

„Als die Deutsche Bahn die Strecke noch befahren hat, waren die gleichen alten Züge im Einsatz. Und auch damals wurde an der Strecke gebaut“, sagt Anja Schäfer. „Solche Schwierigkeiten wie seit letztem Dezember hatten wir aber nie.“

Die Mutter einer 13-jährigen Tochter kennt das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie selbst verpasst immer wieder in Büchen ihren Anschlusszug nach Hamburg, wenn die Berufspendlerin ihr Auto stehen lässt.

„Wenn ein Zug ausfällt und der nächste sich verspätet, kann ich meinem Anschlusszug nur noch hinterherwinken.“ Ihre Tochter wiederum bringe jetzt häufig der Vater zur Schule. Damit sie rechtzeitig ankomme, nehme er große Umwege in Kauf.

Die Kritik an Eríxx aus Lüneburg wird immer größer

„Die Missstände müssen beendet werden, da reichen Entschuldigungsaktionen mit Blumen wie kürzlich in Echem nicht aus“, mahnt Philipp Meyn, SPD-Landtagsabgeordneter aus dem Kreis Lüneburg. „Wenn unsere Pendlerinnen und Pendler immer wieder gezwungen werden, auf das Auto umzusteigen, besteht die Gefahr, dass wir diese Menschen nur schwerlich für den ÖPNV zurückgewinnen werden.“ Wenn dann der Busersatzverkehr wie im Falle Echem nur sporadisch und dann nur mit erheblichen Verspätungen funktioniere, sei das Maß für Betroffene voll.

Detlev Schulz-Hendel, Fraktionsvorsitzender der Grünen im niedersächsischen Landtag, fordert Sanktionen: „Seit der Übernahme durch die Eisenbahngesellschaft Erixx Holstein gibt es ein Problem nach dem anderen ... Bei dauerhaft schlechter Leistung sollte auch eine Kündigung des Vertrages und eine Neuausschreibung in Erwägung gezogen werden.“

Hohe Fluktuation: Personal stimmt mit den Füßen ab

Derartigen Forderungen möchte Rainer Blüm den Boden entziehen. Seit Mitte März Leiter Betrieb und Prokurist bei der Erixx-Muttergesellschaft Metronom ist er zugleich technischer Geschäftsführer bei Erixx Holstein.

Im Auftrag von Nah.SH will Erixx Holstein die Trasse Lübeck - Büchen -Lauenburg - Lüneburg bald mit modernen Akku-Zügen der Firma Stadler bedienen. 
Im Auftrag von Nah.SH will Erixx Holstein die Trasse Lübeck - Büchen -Lauenburg - Lüneburg bald mit modernen Akku-Zügen der Firma Stadler bedienen.  © BGZ | Stadler.

In einer Pressekonferenz an der Seite von Staatssekretär von der Heide und Nah.SH-Chef Beck zeigte sich der 53-Jährige mit breiter Erfahrung im Eisenbahnsektor jüngst selbstkritisch, aber auch kämpferisch. Erixx entschuldige sich bei seinen Fahrgästen und Vertragspartnern, so Blüm.

Die neuen Probleme seien unter anderem Ergebnis einer hohen Fluktuation in der Erixx-Belegschaft, „obwohl wir vieles tun, um die Mitarbeiter zu halten“.

Zugführer krank? Dann fallen Verbindungen aus

Bis Ende Mai sollen zehn neue Triebwagenführer hinzukommen: Doch es dauere vier bis sechs Wochen, bis ausgebildetes Personal eingearbeitet sei.

Zeitweilig verfüge Erixx nicht über hinreichend Personal für die je zwei eigentlich vorgesehenen Reservedienste in Kiel und Lübeck, bedauert Blüm. Folge: Erkranken Zugführer, fallen Verbindungen aus, wenn es nicht gelingt, durch Umplanungen Ersatz zu organisieren.

Erixx kündigt für Kieler Woche zusätzliche Züge an

Um die aktuellen Fahrpläne erfüllen zu können, hat Erixx Holstein den Betrieb auf dem erst kürzlich fertiggestellten Schienenabschnitt zwischen Kiel und Kiel-Oppendorf bis vorerst 4. Juni eingestellt. Es fahren wieder Ersatzbusse. Für die Kieler Woche sollen umgekehrt zusätzliche Züge eingesetzt werden.

Dass Erixx derzeit nicht ohne Leiharbeitskräfte auskommt, bereitet nicht nur organisatorisch Probleme. Die Situation ist ein Kostentreiber. Blüm: „Leiharbeitskräfte kosten uns das Zweieinhalbfache gegenüber eigenen Triebwagenführern.“

Ziel: Klare Strukturen vom Lokführer bis ins Erixx-Management

Auf Nachfrage bestätigte Blüm, dass die Organisation von Erixx Holstein optimiert werden soll. Die Strukturen müssten neu geordnet werden: „Es muss klar sein, wer wofür zuständig ist.“ Ziel seien klare Strukturen, „vom Triebwagenführer über den Abteilungsleiter bis zum Management“.

Spätestens in der zweiten Jahreshälfte sollen die Probleme überwunden sein. „Bevor wir die neue Flotte an Akku-Zügen in Betrieb nehmen können, müssen die Mitarbeiter ausgebildet werden“, stellt Blüm klar. Um dies im laufenden Betrieb sicherstellen zu können, seien ausreichend Personal und besonders Lokführer notwendig.