Lauenburg. Die Zahl bedürftiger Senioren nimmt auch in Lauenburg zu. Warum sich trotzdem viele scheuen, Hilfe anzunehmen.

Sie ist ordentlich gekleidet, die Haare sind frisiert, und bevor sie einen Blick in den Abfallbehälter wirft, schaut sie sich mehrmals um. Die alte Dame ist immer zur gleichen Zeit am Lauenburger ZOB unterwegs. Wenn sie Glück hat, hat jemand seine leere Trinkflasche in den Pfandring gestellt, sodass sie nur zugreifen muss.

Nicht nur in Lauenburg sind Senioren, die verschämt Pfandflaschen in ihren Beutel stecken, inzwischen ein gewohnter Anblick. Vielen von ihnen steht staatliche Hilfe zu. Ob sie diese auch in Anspruch nehmen, ist jedoch fraglich. Ulrike Hümpel arbeitet seit vielen Jahren in der Abteilung Grundsicherung der Lauenburger Stadtverwaltung. Kürzlich wurde dort ein trauriger Rekord geknackt: „Wir haben in diesem Jahr so viele Anträge auf Grundsicherung bewilligt wie noch nie“, sagt sie.

Heute sind über 300 Menschen in Lauenburg auf Grundsicherung angewiesen

Diese Leistung wird dauerhaft erwerbslosen Menschen gewährt, vor allem aber Senioren, deren Rente vorn und hinten nicht reicht. Zum Vergleich: 2017 waren es 200 Lauenburger, die Grundsicherung bezogen, im September erhielten 235 Personen diese staatliche Leistung, heute sind es über 300 Menschen. Ulrike Hümpel ist sich allerdings sicher,dass die Zahl der Bedürftigen viel höher ist. „Auch wenn mittlerweile aus der Not heraus mehr Senioren als früher zu uns kommen, ist in dieser Altersgruppe die Hemmschwelle immer noch sehr hoch, die ihnen zustehende Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt sie.

Ihre Einschätzung deckt sich mit einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Demnach haben in Deutschland mehr als eine Million Rentner Anspruch auf Grundsicherung im Alter. Doch nur rund die Hälfte von ihnen haben dies auch beantragt.

Aufnahmestopp bei der Tafel – auch für Senioren

Bei der Lauenburger Tafel sind die wenigsten Kunden im Seniorenalter. Für die Vorsitzende Friederike Betge hat das vor allem zwei Gründe: „Für viele Senioren ist es immer noch eine Schande, sich als bedürftig zu erkennen zu geben. Sie darben lieber, als um Hilfe zu bitten“, sagt sie. Aber auch wer bereits registriert ist, weil die Rente kaum zum Leben reicht, bliebe derzeit lieber weg. Wenn freitags im Nachbarschaftstreff die Ausgabe der Lebensmittel beginnt, haben sich vor den beiden Fenstern bereits lange Warteschlangen gebildet. Wer zu spät kommt, geht vielleicht leer aus. In den vergangenen Monaten hat sich die Zahl der Tafel-Kunden verdoppelt. Nicht zuletzt auch durch die mittlerweile in Lauenburg lebenden ukrainischen Flüchtlinge.

„Das ist ein Dilemma. Stundenlang in der Schlange zu stehen, schaffen viele Senioren nicht. Deshalb verzichten sie lieber“, sagt die Tafel-Chefin. Für viele Lauenburger Senioren dürfte sich die Lage in der nächsten Zeit noch zuspitzen, denn die Lebensmittelpreise gehen derzeit durch die Decke. Laut einer Studie des Kreditversicherers Allianz Trade werden die Preise für Lebensmittel am Ende dieses Jahr um zehn Prozent höher sein als im Vorjahr.

Vor allem Senioren verzichten auf solche größere Käufe

Die Zahl der Senioren, die in Lauenburg auf die Tafel angewiesen sind, wird vermutlich also steigen. Doch wer dort bisher seine Bedürftigkeit nicht nachgewiesen hat, geht vorläufig leer aus. „Wir mussten einen Aufnahmestopp verhängen, weil wir weder genug Lebensmittel haben, noch mit unseren ehrenamtlichen Kräften die Ansturm bewältigen können“, bedauert Friederike Betge. Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass es auf die Lebensmittelausgabe der Tafel keinen gesetzlichen Anspruch gibt. „Obwohl die ehrenamtlichen Helfer alles tun, um zu helfen, ist es Aufgabe des Staates, sich darum zu kümmern, dass Bedürftige genug zu essen haben“, sagt die Tafel-Chefin.

Auch im Lauenburger Sozialkaufhaus sind ältere Kunden derzeit in der Minderheit. Wer hier gespendete Artikel kaufen möchte, muss ebenfalls seine Bedürftigkeit nachweisen. Selbst wenn die Preise vergleichsweise günstig sind, bedeutet der Kauf eines Sofas oder einer Waschmaschine für diesen Kundenkreis eine große Anschaffung. „Derzeit beobachten wir, dass vor allem Senioren auf solche größeren Käufe verzichten“, sagt Betriebsleiter Jörg Sönksen. Und bei Kleidung schauen die älteren Kunden heute neben der Qualität vor allem auf den Preis, selbst wenn eine Bluse nur einen Euro kostet. „Glücklicherweise sind wir bei der Preisgestaltung flexibler als ein normales Kaufhaus“, sagt Sönksen.

Seniorenbeirat stiftet Gutscheine für ein Kaffeegedeck

Bei den geselligen Nachmittagen, zu denen der Lauenburger Seniorenbeirat monatlich einlädt, ist Altersarmut nicht auf den ersten Blick erkennbar. Die Besucher haben sich nett angezogen, genießen ihr Kaffeegedeck. „Uns ist aber immer öfter aufgefallen, dass Besucher vor allem aus den Pflegeheimen wegbleiben, weil ihnen der Kaffee und der Kuchen zu teuer ist“, weiß Sprecher Claus Beissner. Aber an der Altersarmut in Deutschland könne grundsätzlich der Seniorenbeirat einer kleinen Stadt nichts tun.

Doch so ganz stimmt das nicht. Claus Beissner und seine Mitstreiter haben sich etwas einfallen lassen: Sie wollen den Pflegeheimen Gutscheine zukommen lassen. Wegen einer kleinen Rente dürfe in Lauenburg niemand auf den Seniorennachmittag und das Kuchengedeck verzichten müssen, findet er.