Lauenburg
(du).
Traumatisierte Kinder, die ansehen mussten, wie ihr Zuhause vom Bombenhagel zerstört wurde, gab es in Lauenburg schon vor 70 Jahren. Denn aus dem Osten Deutschlands und aus dem zerbombten Hamburg kamen immer mehr Familien in die Stadt. Wohnraum und Nahrung waren knapp, und auch hier waren die Flüchtlinge vor Bombenangriffen nicht sicher. Kinder, die mit diesen Erlebnissen aufwachsen mussten, sind im August 1943 in Lauenburg eingeschult worden. Hans-Jürgen Boisen (78) war einer von ihnen. Und er hatte anlässlich des 60. Jahrestages der Schulentlassung ein Klassentreffen organisiert.

Der Schulstart für die Klasse war nicht einfach, erzählt Boisen. "Im Schulgebäude waren Flüchtlinge untergebracht oder Räume wurden als Lazarett beschlagnahmt." Die Turnhalle, Räume in den Lauenburger Werften, der Zündholzfabrik oder im Heimatmuseum (heutiges Elbschifffahrtsmuseum) wurden zu Klassenzimmern. Unterrichtsausfälle gab es häufig, doch die Kinder hatten wenig Freizeit. Mussten sie doch immer wieder Kartoffelkäfer von den Feldern sammeln. Nach der Ernte ging's zum Kartoffelstoppeln aufs Feld: Für viele Familien die einzige Möglichkeit, an die sättigenden Knollen zu kommen. "Nach dem Krieg waren es auch meistens Kinder und Jugendliche, die für Lebensmittel anstanden," so Boisen. Maisbrot und Sirup aus Zuckerrüben ersetzte oft das Mittagessen. An die Schulspeisung erinnert sich Hans-Jürgen Boisen noch sehr gut. Fischsuppe war nicht so der Renner, "aber die dänische Milchsuppe aus Hilfslieferungen wurde gern gegessen."

Kindern, denen der Krieg so viel genommen hat, wollen das, was sie kennen und lieben, behalten. So ist wohl die kleine Revolution von 1954 zu erklären. "Die beliebte Lehrerin Gretchen Kraft wurde entlassen, weil sich die Stadt ihr Gehalt nicht mehr leisten konnte", erzählt Boisen. Daraufhin habe eine Gruppe enttäuschter Mädchen einen Protestmarsch zur Stadtverwaltung organisiert. Bürgermeister Richard Reuter drohte im Wiederholungsfall mit Schulverweis. "Und wir mussten einen Aufsatz über Rechte und Pflichten schreiben."

Trotzdem haben die Abgangsschüler von 1955 ein gutes Rüstzeug von ihrer Mittelschule bekommen. Viele bekleideten verantwortungsvolle Positionen. So gehörte Eckehard Joost zu ihnen. Er wirkte über 30 Jahre als Musikwissenschaftler und Professor an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.