Von Elke Richel

Lauenburg.
"Das hätte jeder gemacht", sagt Alparslan Barcin bescheiden. Doch wer die Geschichte hört, wird daran zweifeln: Der 37-Jährige schaute nicht weg, als ein Mensch hilflos in Lauenburg strandete und gab auch nicht auf, als er bei sämtlichen Behörden auf taube Ohren stieß.

"Der Mann ist mir aufgefallen. Zwei Tage lang hielt er sich bei Wind und Wetter in der Bushaltestelle Albinus-Straße auf. Mal saß er einfach nur so da, ein anderes Mal schlief er auf der harten Bank", erzählt der Busfahrer, der mit seiner Familie seit fast 30 Jahren in Lauenburg lebt. "Ich habe ihm Wasser und etwas zu essen gebracht. Er war völlig entkräftet. Zum Glück sprach der Mann etwas türkisch und so erfuhr ich, er ist Iraner und hat die norwegische Staatsbürgerschaft", sagt Alparslan Barcin und erzählt weiter: "Ich habe ihn schließlich in mein Gartenhäuschen gefahren. Es war mitten in der Nacht und es war lausig kalt. Am nächsten Morgen würden sich ja die Behörden um ihn kümmern, war ich mir sicher."

Was der hilfsbereite Familienvater zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, auch am Mittwoch würde er den ganzen Tag lang vergeblich versuchen, den in Lauenburg gestrandeten Sabalan Y. in die Obhut der Behörden zu geben. Der etwa 40-jährige Mann verfügt lediglich über vorläufige, von der deutschen Bundespolizei ausgestellte Ausweisdokumente, ansonsten hat er weder Geld, noch eine Unterkunft. "Für mich war klar, hier ist das Flüchtlingsheim in Nosdorf zuständig. Da habe ich ihn hingefahren", sagt er wie selbstverständlich, obwohl seine Frau vor zwei Tagen entbunden hat und nun mit den drei Kindern zu Hause auf ihn wartet. Dann die Enttäuschung: "In Nosdorf hat man mir gesagt, man kenne ihn bereits, er wäre von Rostock falsch geleitet worden. Also könne er nicht aufgenommen werden. Die Bundespolizei sei zuständig. Die müsse auch die persönlichen Umstände des Mannes klären", sagt Alparslan Barcin. Damit sei die Geschichte aber noch lange nicht zu Ende. Inzwischen hatte er herausgehört, dass der nach eigenen Angaben psychisch kranke Sabalan Y. nichts lieber wollte, als nach Norwegen zurück. Er hatte aber weder Geld für das Ticket, noch für Lebensmittel.

Taube Ohren auch bei der Polizei in Lauenburg

In seiner Verzweiflung war der Gestrandete einfach losgelaufen und schließlich in Lauenburg gelandet. Deshalb sei auch die Lauenburger Polizei zuständig, erfuhr Alparslan Barcin von der Bundespolizei. Das sei die Rettung, habe er gedacht. "Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich mit meinem Anliegen hier auch auf taube Ohren stoße", begründet er seinen späten Besuch in unserer Redaktion. Seinen Schützling hatte er inzwischen wieder mit Lebensmitteln ausgestattet und für eine zweite Nacht in seiner Gartenlaube untergebracht. Auch ein Anruf unserer Zeitung bei der Lauenburger Polizeiwache am selben Abend konnte daran nichts ändern. Der Mann solle zur Stadtverwaltung gehen, oder zur norwegischen Botschaft. Für die Zuweisung einer Unterkunft, bis sich die Behörden um ihn kümmern würden, sei die Polizei nicht zuständig", erklärte der diensthabende Beamte.

"Ich bin entsetzt, wie das gelaufen ist. Die Stadt hat Notunterkünfte und die Polizei kennt diese Wohnungen", sagte Bürgermeister Andreas Thiede auf Nachfrage. Er machte die Angelegenheit zur Chefsache: Ein Anruf in der norwegischen Botschaft und die Identität des Mannes war festgestellt. Dieser hatte die Wahrheit gesagt. Er war in einer psychischen Ausnahmesituation mit der Fähre nach Dänemark gefahren, hatte sich weiter bis Deutschland durchgeschlagen, war schließlich von der Bundespolizei aufgegriffen und mit den vorläufigen Papieren für die Ausreise ausgestattet worden. "Herr Y. hat keine Angehörigen in Norwegen. Die Kosten für die Rückführung können wir trotzdem nicht übernehmen", bedauerte die Mitarbeiterin der Botschaft.

Die Geschichte hat schließlich doch ein Happy End: Das Ticket nach Norwegen zahlte Lauenburgs Bürgermeister aus seiner eigenen Tasche: "Ich schäme mich, wie man in Deutschland und auch in Lauenburg mit ihnen umgegangen ist. Das ist das Mindeste, was ich als Entschuldigung tun kann", sagte er zu Sabalan Y.