Erinnerung: Markus Reich und Heidi Lüth erlebten die Weihnachtstage der Kindheit auf einem Binnenschiff

Weihnachtszeit auf einem Binnenschiff in den 50er-Jahren: Wie erlebten die Schipper-Kinder diese Zeit? Einfach mal so das Schiff im Hafen festmachen und nach Hause gehen, war nicht drin. Solange die Elbe nicht gefroren war, wurde auch über Weihnachten gefahren.

Von dem Komfort in den heutigen modernen Schiffen konnte man damals nur träumen. Statt eigenem Kinderzimmer gab's Etagenbetten in den engen Kajüten. Das Familienleben spielte sich im etwa 12 Quadratmeter großen Wohnraum ab.

"Ich fand es trotzdem nie eng an Bord", sagt die heute 62-jährige Heidi Lüth und Bruder Markus Reich (55) fügt hinzu: "Ich erinnere mich gern zurück. Es war gerade im Winder überall kuschelig warm durch die Maschine. Für uns war die Familie der Mittelpunkt, solange wir zusammen waren, war alles in Ordnung".

Einmal geriet die Welt der siebenjährigen Heidi allerdings aus den Fugen. Als Schulkind teilte sie das Los vieler Schifferkinder. Sie wurde bei den Großeltern einquartiert und durfte nur in den Ferien aufs Schiff. Dadurch verpasste sie die Geburt ihres jüngsten Bruders. "Wir lagen vor Schnackenburg fest, weil die DDR-Grenzer alles dichtgemacht hatten. Bei mir setzten die Wehen ein und mein Mann musste schnell zu Kaufmann Heuer hinter dem Deich laufen. Der hatte nämlich ein Telefon und so konnte er die Hebamme an Bord rufen", erinnert sich Liesa Reich (83). Auf dem Moped kam die Hebamme angeknattert und wenig später, am 22. November 1958, war Sohn Markus auf der Welt. Er ist das einzige ihrer fünf Kinder, das an Bord eines Schiffes geboren wurde. Heidi wusste nichts von dem freudigen Ereignis. Sie bekam am Nikolaustag einen Brief ihrer Tante, die ihr liebevoll im Namen des Nikolaus mitteilte, dass die Familie größer geworden war. Heidis Reaktion: "Nö, den will ich nicht". Als sie dann aber am ersten Tag der Weihnachtsferien aufs Schiff kam und Mama Liesa ihr den kleinen Wonneproppen in den Arm legte, war aller Widerstand gebrochen. "Ich war restlos begeistert von dem Baby. Wir beide haben heute noch eine besonders feste Bindung", erzählt sie.

Jede Menge Erinnerungen an eine Kindheit mit duftenden Bratäpfeln, die auf dem Rost des ersten Ölofens an Bord brutzelten. Die Geschwister erinnern sich auch an das Schimpfen von Mama Liesa, die den festgetrockneten, klebrigen Saft wegkratzen musste. "Oder erinnerst du dich an die Aktionen mit den Tannenbäumen?", fragt Heidi Lüth ihren Bruder. Wie könnte er das vergessen: Mit vereinten Kräften hatten die Kinder den Baum immer auf einem Fahrrad festgezurrt aufs Schiff transportiert. Doch einmal hätte es fast keinen Weihnachtsbaum gegeben. "Es war schwierig, während der Liegezeiten einen Tannenbaum zu finden und dann ist es passiert: Uns stand ein Fest ohne Weihnachtsbaum bevor", erinnert sich Markus Reich. Aber Kinder können sehr kreativ sein. Abends, als das Schiff zur Nachtruhe festgemacht hatte, zogen sie los. "Hinterm Deich haben wir dann mit dem Fuchsschwanz in der Hand unseren Weihnachtsbaum gefunden", schmunzelt er. Vielleicht waren es auch diese Kindheitserinnerungen, weshalb Markus Reich, wie seine drei Brüder auch, die Schifffahrt nie losgelassen hat. Er ist selbst Reeder geworden und obwohl heute die Kajüten auf den modernen Schiffen größer und komfortabler sind: Das warme Gefühl der Kindheit und die Erinnerung an Weihnachten auf dem Schiff hat er sich wie seine Geschwister bis heute bewahrt.