Helene Gramkow: Das Kirchenlied begleitet die 93-jährige seit ihrer Kindheit in Ostpreußen

In der Adventszeit ist wieder überall das alte ostpreußische Kirchenlied aus dem 17. Jahrhundert "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit", zu hören. Für die 93-jährige Seniorin Helene Gramkow aus Lauenburg ist dieses Lied mit ganz vielen Erinnerungen verbunden. Es war für sie und etwa 500 vertriebene Menschen sogar einmal ein Stückchen Heimat.

Helene Gramkow stammt aus dem ostpreußischen Groß Lindenau im Kreis Königsberg. Nach einer unbeschwerten Kindheit fand sie eine Anstellung in der Weberei Hof Kapkeim, in der sie auch ihren späteren Mann Erich kennenlernte. Jeder, der gut singen konnte, wurde in den Betriebschor aufgenommen, und natürlich stand in der Adventszeit auch "Macht hoch die Tür", auf dem Programm. Die Zeit der ersten Liebe mit Heirat und Zukunftsplänen fand ein jähes Ende mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs. Ihr Mann wurde Soldat, und Helene Gramkow musste mit ihren beiden kleinen Kindern flüchten. Sie hatte Glück und bekam eine Schiffspassage nach Dänemark. "Ich hatte eine Rot-Kreuz-Ausbildung, konnte meine Kinder tagsüber in die Obhut einer anderen Frau geben, damit ich bei der Pflege der Verletzten auf dem Oberdeck helfen konnte", erzählt sie.

An eine Nacht erinnert sie sich besonderes. Es war plötzlich totenstill, alle waren wach und hatten Angst. Nur die Wellen, die sich an der Bordwand brachen, waren zu hören. Am nächsten Tag erfuhr Helene Gramkow vom Schiffsarzt, dass ein russisches U-Boot gesichtet worden war. Um nicht entdeckt zu werden, hat der Kapitän alle Maschinen abstellen lassen. Die Überfahrt gelang und gemeinsam mit den anderen Flüchtlingen wurde sie im dänischen Gentofte bei Kopenhagen in einer Schule untergebracht.

"Die Freude, die ich immer beim Singen empfunden habe, war für mich Ansporn, einen Frauenchor zu gründen", erzählt sie. Für den ersten Advent hatte sich der Chor eine besondere Überraschung ausgedacht. Ein kleines Mädchen, als Engel mit einem langen weißen Nachthemd ausstaffiert, ging mit einer vom Hausmeister geschenkten Kerze in die Klassenräume zu den schlafenden Frauen. Der Chor stand vor der Tür und sang: "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit". Die Frauen und Kinder auf ihren Strohsäcken kuschelten sich ganz eng aneinander und hörten andächtig zu. "Alles, was wir verloren hatten, war ganz weit weg - solange die Kerze brannte und wir sangen. Mit dem alten Kirchenlied erlebten wir ein Stückchen Heimat. Das war für alle ein lange nicht mehr gekanntes Glücksgefühl", erinnert sich Helene Gramkow.

Zweieinhalb Jahre lang musste Helene Gramkow in dem Lager bleiben, bis der erlösende Brief ihres Mannes kam. Es hatte ihn, ebenso wie seinen früheren Arbeitgeber Dr. Neufeld, den Besitzer der Weberei Hof Kapkeim, nach Lauenburg in die Fliegerschule verschlagen. Er wurde wieder eingestellt, bekam eine Wohnung, und mit diesem Nachweis konnte er Frau und Kinder zu sich holen.

Die Freude am Singen hat Helene Gramkow auch in Lauenburg mit dem Eintritt in den Frauenchor der Stadt weitergelebt. "Macht hoch die Tür die Tor macht weit" wurde in dem Chor nicht gesungen, aber wenn die alte Dame jetzt dieses Kirchenlied hört, ist das Heimatgefühl von damals für sie wieder lebendig.