Günter Grass Nobelpreisträger diskutierte in Lauenburg

Es war zugig und kalt in der Heinrich-Osterwold-Halle, als Günter Grass aus seinem Roman "Der Butt" das Kapitel "Bebel zu Gast" las und von heißer, dampfender Rinderbrühe, pikanten Schweinenierchen in Mostrichtunke und Salzkartoffeln erzählte, die den Vorsitzenden der Sozialdemokraten, August Bebel, ordentlich durchwärmten. Die Köchin Lena Stubbe, eine von Grass' Romanheldinnen, hatte das Gericht gekocht. Auch ihre "halbierten Schweinsfüße zu Roggenbrot und Salzgurken" verfehlten ihre Wirkung nicht. Die zerstrittenen Genossen feierten sie nach hitziger Debatte, denn sie hatte sie alle mit ihrem einfachen Gericht stumm und friedlich gemacht. Ihr "Proletarisches Kochbuch" lobte Bebel dann auch ausgiebig, lehnte es aber ab, ein Vorwort zu schreiben, geschweige denn ein Kapitel in eine Neuauflage seines Erfolgsbuches "Die Frau und der Sozialismus" aufzunehmen.

Die Lesung machte Appetit auf eine Diskussion mit Grass, der auf Einladung der Bundestagskandidatin Nina Scheer (SPD) nach Lauenburg kam. "Ich bin gern gekommen, denn ich verehre ihren Vater Hermann Scheer sehr", sagte Grass. Scheer (1944 bis 2010) war SPD-Bundestagsabgeordneter und erhielt 1999 den Right Livelihood Award, den sogenannten "Alternativen Nobelpreis", für sein Engagement zur weltweiten Förderung der Solarenergie. Bei der Verleihung begegneten sich Nina Scheer und Grass, der den Literatur-Nobelpreis in Empfang nahm.

Grass, der die Sozialdemokratie "unterstützt und auf kritische Weise begleitet", bezeichnete die SPD als die "mit alle ihren Vorzügen und Schwächen demokratisch gebliebene Partei". Gleichzeitig kritisierte er das Verschweigen und Ignorieren von Missständen wie Kinder- und Altersarmut, das Verschieben von dringenden Themen wie Stilllegung der Atomkraftwerke durch die Regierung auf den "Sanktnimmerleinstag".

Er prangerte auch den Lobbyismus im Bundestag an. "Der Bundestag ist nicht mehr frei, sondern ein wachsendes Heer von Lobbyisten. Das ist verfassungswidrig", urteilte der 85-Jährige.

Auf die immer geringer werdende Wahlbeteiligung angesprochen, sagte Grass: "Nichtwähler muss man ernst nehmen. Es ist nicht damit getan, sie als wahlmüde oder faul zu bezeichnen." Es gebe sicher Gründe, die einem die Wahl schwer machen, sagte er. Er riet, genau zu schauen, welche Partei versuche, den Lobbyismus zu durchbrechen, welche von ihm abhängig ist und welche ihm Widerstand entgegen bringt. "Kein Internet und kein Wahlomat kann uns das abnehmen. Wir sind mündige Bürger." Anschließend gab er eine Autogrammstunde. Fast alle 80 Gäste stellten sich dafür an und legten dem Schriftsteller Bücher, Zeichnungen und Plakate vor, um sie signieren zu lassen.