Kritik: Wurde die Elbstraße zu früh der Flut überlassen? Was taugen die offiziellen Pegelprognosen?

"Die Katastrophenschutz-Leitung hat den lokalen Sachverstand nicht einbezogen, dadurch hat man viel verschenkt", erklärte Hajo Krasemann, betroffener Anwohner der Elbe und Sprecher der "Initiativ-Gruppe-Elbehochwasserschutz Lauenburg" (IGEL) während der Podiumsdiskussion. Krasemanns Kritik: "Die Operation war erfolgreich, aber der Patient ist leider tot. Das Wasser stand in der Straße und in den Häusern, als hätte man überhaupt nichts getan."

5500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde seien bei dem Höchststand der Elbe von 9,64 Metern am 12. Juni an Lauenburg vorbeigerauscht, berichtete Kreiswehrführer Michael Raddatz. "Es tat uns als Einsatzkräfte immer in der Seele weh, wenn wir nicht das schaffen konnten, was wir uns vorgenommen hatten", versicherte er. Raddatz ist aber auch überzeugt: "Der Deichbruch bei Fischbek in Sachsen-Anhalt hat uns hier vor Ort die Dramatik genommen. Bis dahin hatten wir Prognosen von 10,35 Metern." Dies wäre eine nicht vorstellbare Dimension des Hochwassers gewesen.

Die Grünen-Stadtvertreterin Katharina Bunzel, die an der besonders von der Flut betroffenen Elbstraße lebt, berichtete vor 40 Gästen der Diskussionsrunde von ihren Erfahrungen während des Einsatzes: "Viele Anwohner waren wegen des frühen Zeitpunkts der Evakuierung unzufrieden, denn sie hätten ihre Häuser retten können." Allerdings durften Pumpen und Aggregate nicht mehr betrieben werden.

Der Führungsstab hatte beschlossen, Häuser von 400 Anwohnern frühzeitig zu evakuieren, um nicht im letzten Moment die Evakuierung durchführen zu müssen. "Das offizielle Vorhersagemodell für das Hochwasser war völlig untauglich, aber das hat man in Lauenburg ignoriert", meinte Krasemann in Bezug auf die Prognosen, die sich ständig geändert hatten. "Es ist nicht so, dass im Katastrophenschutzstab nur Vollidioten sitzen", entgegnete Bauamtsleiter Reinhard Nieberg. Man sei ständig über die Prognosen der Vorhersagezentrale in Magdeburg durch Fachleute des Wasser- und Schifffahrtsamtes unterrichtet gewesen. Niebergs Einschätzung: "Das Hochwasser hat uns nicht unvorbereitet getroffen."

Während der Podiumsdiskussion, die sich eigentlich um das Thema "Ökologischer Hochwasserschutz" drehen sollte, wurde deutlich, dass es ohne einen technischen Hochwasserschutz in Lauenburg künftig nicht gehen kann. "Wer in den vergangenen Jahren seinen Deich erhöht und erneuert hat, der hat das viele Wasser schnell abgeleitet. Aber dadurch hat es andere, wie Lauenburg, besonders hart getroffen", sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms. Ihr Kollege Konstantin von Notz aus Mölln, zu dessen Wahlkreis Lauenburg gehört, hatte die Expertin für maritime Politik in die Stadt geholt. "So ein 'Augen zu und durch' wie bisher im Oberlauf der Elbe geht künftig nicht mehr. Wir brauchen eine andere Herangehensweise. Notfalls muss der Bund sich gegen Interessen der Kommunen durchsetzen", sagte die Politikerin. Auch eine zentrale Koordinierungsstelle für Gefahrenlagen an Binnengewässern, wie das Havariekommando für Seegebiete in Cuxhaven, schwebt der Politikerin vor.

Einig waren sich Raddatz, Krasemann und Nieberg sowie viele Diskussionsteilnehmer in ihrer Forderung nach einem rasch umzusetzenden Hochwasserschutz in Lauenburg. Parallel könne man dann auch über die Rückverlegung von Deichen oder andere ökologische Maßnahmen sprechen. Doch schon nach dem "Jahrhundert-Hochwasser" von 2002, das in Lauenburg fast einen Meter niedriger ausgefallen war als die Flut vor vier Wochen, zeigte sich: solche Maßnahmen sind nur schwer zu realisieren. Valerie Wilms berichtete, dass von 35 000 Hektar möglichen Polderflächen bis heute nur fünf Prozent geschaffen wurden. Sie wusste auch, dass Sachsen seit 2002 zwar 530 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investierte, davon aber nur fünf Millionen in neue Überschwemmungsflächen.