Lauenburg. Für Landratten mit Höhenangst beginnt der Besuch bei Brigitte Kohlthoff und Dirk Freese an Bord ihres Frachters “Karl-Heinz“ mit einer Mutprobe. Etwa 80 Zentimeter beträgt der Abstand zwischen Steg und Schiff und die wollen mit einem beherzten Schritt erst einmal überwunden werden. “Am besten nicht nach unten schauen“, rät der Schiffer. Leicht gesagt - die Eisschollen auf der Elbe sehen aus drei Meter Höhe nicht sehr tragfähig aus.

Brigitte Kohlthoff und Dirk Freese transportieren mit ihrem Frachter Waren quer durch Deutschland.

Brigitte Kohlthoff bewältigt die Distanz so sicher, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Dabei hat die 40-Jährige noch vor zwei Jahren in der Lauenburger Stadtverwaltung ihre Brötchen verdient. War es die neue berufliche Herausforderung oder die Liebe, die sie bewogen hat, nun auf dem Frachter mitzufahren? "Beides", antwortet sie diplomatisch mit einem liebevollen Blick auf ihren Mann. Für den 42-Jährigen dagegen stand bereits als kleiner Junge fest, dass er wie sein Vater Binnenschiffer wird. Schon als Kleinkind rutschte er auf dem Schiff umher. Während er in Erinnerungen schwelgt, zupft seine Frau ein paar vertrocknete Blättchen aus den Zimmerpflanzen. Die liebevolle Dekoration der kleinen Wohnung an Bord trägt ihre Handschrift. In der "guten Stube" zieren Kissen die gemütliche Sitzgruppe und auf dem Fernseher stehen Familienfotos. Der Fußboden blitzt und auf der Schrankwand liegt kein Stäubchen. Man könnte meinen, hier an Bord herrscht die klassische Rollenverteilung: Frau am Herd und Mann im Maschinenraum. "Das ist ganz und gar nicht so", erzählt Brigitte Kohlthoff. "Ich bin der Steuermann auf unserem Schiff." Steuermann? "In der Schifffahrt gibt es nur männliche Berufsbezeichnungen", erklärt sie und lacht über das Missverständnis. Dass die zierliche, junge Frau das 85 Meter lange und neun Meter breite Schiff manchmal selbst führt, traut man ihr auf den ersten Blick gar nicht zu. Aber in der Steuerkabine kann sie die Bedienelemente ebenso gut erklären, wie ihr Mann. Vieles sei zwar noch wie früher, aber Navigationsgerät und Handy würden die Arbeit der Binnenschiffer heute erleichtern. Nein, sie hätte nie bereut, den gut bezahlten Verwaltungsjob an den Nagel gehängt zu haben.

Wie fast alle deutschen Binnenschiffer sind die Eheleute in einer Genossenschaft organisiert, so dass sie ihre Kunden nicht selbst akquirieren müssen. Alles, was nicht flüssig ist, transportieren sie in dem 1266 Tonnen fassenden Frachtraum quer durch Deutschland. Den unvermeidlichen Papierkram erledigt der "Steuermann" - kein Problem für die gelernte Verwaltungsfachangestellte.

Im Wohnzimmer geben die gerafften Spitzengardinen den Blick auf die vereiste Elbe frei. Eigentlich wollten die beiden schon seit Neujahr wieder unterwegs sein. Die Temperaturen hätten ihnen aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Natürlich bedeute die Zwangspause einen finanziellen Verlust, aber Jammern sei nicht seine Sache, so der Unternehmer. "Früher konnten die Schiffe meist nur zehn Monate im Jahr fahren. In der übrigen Zeit war Hochwasser oder Eis", erinnert er sich. So zu kalkulieren habe er schon von seinem Vater gelernt. Reich werden könne man in diesem Beruf nicht und wer konkurrenzfähig bleiben will, müsse regelmäßig in neue Technik investieren. Erst im vergangenen Jahr haben sich die Eheleute einen neuen 1000-PS-Motor einbauen lassen - doppelt so stark wie der alte. Fast liebevoll streicht Dirk Freese über das glänzend gelbe Ungetüm im Maschinenraum. Wie hoch diese Investition war, deutet er nur an: "Eine kleine Wohnung hätten wir uns davon wohl kaufen können." Dass die beiden auch aufgrund solcher Zahlungsverpflichtungen noch nie im Urlaub waren, stört sie nicht. "Wir sind ständig unterwegs und sehen die schönsten Landschaften", schwärmen sie und werfen einen sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster, als könnten sie kaum abwarten, dass das Eis den Fluss wieder frei gibt. Bis dahin bleiben sie erst mal zu Hause in ihrer kleinen Lauenburger Wohnung. "Zuhause? Das ist für uns hier auf dem Schiff", verbessert Dirk Freese sofort und seine Frau pflichtet ihm ohne zu zögern bei.