Geesthacht. Das Krankenhaus will mehr Kinder therapieren, denen ein Sprachverständnis fehlt. Was das mit der Rentenversicherung zu tun hat

„Wenn Sie heutzutage Logopäde sind, können Sie sich aussuchen, wo Sie arbeiten wollen“, sagt Nils Metzger, Sprecher der Vamed Klinik. Diese Situation mag für die Fachkräfte ideal sein, für Vamed ist sie es ganz und gar nicht. Und für Patienten erst recht nicht.

„Wir müssen dafür sorgen, dass wir hier mehr Kinder mit Sprachproblemen therapieren können. Das Nadelöhr sind die Logopäden. Wir haben umfangreich gesucht, teilweise auch mit Headhuntern“, berichtet Nils Metzger. Da keine zu finden waren, sorgt die Klinik pragmatisch nun selbst für Nachwuchs und baut eine eigene Logopädenschule auf dem Gelände.

Vamed-Klinik in Geesthacht baut eigene Logopädenschule

Diese Idee wurde 2020 geboren. „Wir sind eine alternde Gesellschaft, die immer mehr Bedarf an Logopäden per se hat. Das wäre ja insoweit noch abzusehen gewesen. Aber nicht abzusehen war, dass jetzt zusätzlich noch eine Menge Kinder kommen, die auch noch logopädischen Bedarf haben“, erklärt Klinik-Geschäftsführerin Astrid Kusmat die Hintergründe.

„In Deutschland sprechen von allen gesunden Kindern acht bis zehn Prozent nicht so, dass sie eingeschult werden können. Das fällt bei der Schuleingangsuntersuchung auf“, sagt Astrid Kusmat. Die Hintergründe für die Sprachentwicklungsstörung seien noch nicht geklärt, aber ein paar Dinge lägen auf der Hand: „Beim Video- oder iPad-Gucken lernt man nicht sprechen als Kind.“ Das Problem existiere bundesweit quer durch alle Schichten. Vom Migrationskind bis zum Kind des Rechtsanwaltes sei alles dabei.

Rentenversicherung kam wegen Bedarfs an Logopäden auf Vamed zu

Da könnten der Sinn von Sätzen nicht erfasst und Zusammenhänge nicht wiedergeben werden, es gehe um mangelnde altersgerechte Satzbildung und das Sprachverständnis allgemein und habe unheimlich viel damit zu tun, was man bräuchte, um sich erfolgreich in der Gesellschaft bewegen zu können, erklärt Astrid Kusmat. „Wegen des großen Bedarfs kam 2018 die Deutsche Rentenversicherung auf uns zu und hat gefragt, ob wir nicht Plätze für Sprachrehabilitation anbieten können, weil wir als Neurologie ohnehin eine große logopädische Abteilung in der Klinik haben.“

Die Rentenversicherung (DRV) reagiere auf die Ergebnisse der Schuleignungstests, weil durch Sprachprobleme eine Bedrohung der späteren Erwerbstätigkeit des Kindes bestehen könne, erklärt Astrid Kusmat die Situation. Die DRV betreibt selbst Reha-Kliniken, die Fachklinik Satteldüne auf Amrum etwa behandelt ebenfalls Sprach- und Sprechstörungen.

Die Warteliste ist lang mit 468 Fällen – Wartezeit 1,5 Jahre

Da die bis dato zwölf Plätze nicht ausreichten, wurde im September 2019 das alte Gästehaus der Klinik in ein Sprachhaus mit 20 Plätzen umgebaut. Zudem gibt es vier Plätze im Klinikgebäude. „Und auch die reichen nicht aus, sodass wir jetzt eine Warteliste mit 468 Fällen haben auf diese Maßnahmen. Die Wartezeit beträgt 1,5 Jahre. Was natürlich im Kindesalter relativ dramatisch ist“, sagt Astrid Kusmat.

Die Maßnahmen dauern jeweils vier Wochen, es gibt Gruppen- und Einzelunterricht. Drei Vollzeitkräfte arbeiten mit Bildmaterial und spielerischen Mundmotorikübungen. Auch Singen spielt eine große Rolle. Die zeitgleiche Aufnahme der Eltern gehört zum Konzept dazu. Sie sollen die Kompetenz erwerben, zu Hause weiter mit ihrem Kind zu üben, sodass ein einmaliger Aufenthalt ausreichend ist.

Schock für Eltern – für viele bricht eine Welt zusammen

Die Logopäden arbeiten spielerisch mit den Kindern. Außer der Sprechfähigkeit soll auch die Sprechfreude gefördert werden.
Die Logopäden arbeiten spielerisch mit den Kindern. Außer der Sprechfähigkeit soll auch die Sprechfreude gefördert werden. © Manfred Witt | Manfred Witt

Astrid Kusmat glaubt an einen heilsamen Schock bei der Eingangsuntersuchung. „Die Eltern dachten, dass ihr Kind normal spreche, und dann sagt ihnen ein Arzt, dass es unterentwickelt sei in diesem Segment – dann bricht für viele die Welt zusammen, dann sind sie froh, wenn sie einen Platz kriegen, wo ihnen geholfen wird“. Die Eltern müssen hierfür einen Reha-Antrag stellen bei der DRV. Wenn der genehmigt sei, wird eine Klinik zugewiesen.

„Logopädenschulen dürfen nur in Zusammenhang mit Neurologien aufgemacht werden“, erläutert Astrid Kusmat, wie aus der Idee im Jahr 2020 eine Planung wurde. „Das passte schon mal. Dann haben wir geguckt, was müssen Logopäden alles an Krankheitsbildern in ihrer Ausbildung sehen? Auch das können wir ihnen alles zeigen.“

Großer Traum: Später auch noch ein Azubi-Wohnheim zu bauen

Von Schleswig-Holstein gibt es Fördermittel zum Bau, Betrieb und zur Eröffnung. Wie viel Geld es wird, ist noch nicht ganz klar. Umfängliche Bauunterlagen liegen gerade zur Prüfung beim Prüfarchitekten des Landes. Das Volumen dürfte bei etwa 2,6 Millionen Euro liegen, die die gesamte Maßnahme abdecken sollen. Für die Baugenehmigung ist das Bauamt der Stadt Geesthacht zuständig. Geplant ist, zum Ende des Jahres zu beginnen.

Eins der zum Teil denkmalgeschützten Gebäude gegenüber der Kita Edmundsthal wird zurzeit als Werkshof genutzt, das andere ist ein Leerstand. Wegen des Denkmalschutzes darf die Außenhülle nicht verändert werden. Innen wird alles entkernt, neubaugleich saniert und energetisch auf den aktuellen Stand gebracht. Ein Wunsch bleibt: Später mal ein Angestelltenhaus zu einem Azubi-Heim mit 40 Wohneinheiten umzubauen.

Schon im Oktober in einem Jahr soll Schuleröffnung sein

Bereits im Oktober 2024 soll die Schule eröffnen. Die Schulleitung ist bereits gefunden, nimmt zum diesjährigen 1. Oktober die Arbeit auf. „Sie fängt schon an, weil sie ja das Konzept für das Bildungsministerium schreiben muss. Da brauchen wir auch noch Genehmigungen“, erläutert Astrid Kusmat das Vorgehen.

Angestrebt wird eine Mischung aus Fachdozenten und festangestellten Lehrern, drei bis vier werden benötigt. Zwei Interessenten gibt es bereits. Sie wurden auf das Vorhaben durch die Stellenausschreibung für die Schulleitung aufmerksam. Diese Position wollten sie gar nicht, brachten sich aber als künftige Lehrer ins Gespräch.

Jedes Jahr eine neue Klasse – die Schule wird über 45 Plätze verfügen

Wer sich als Schüler für eine Ausbildung an der neuen Schule interessiert, kann sich gern bei Nils Metzger melden (Mail an Nils.Metzger@vamed-gesundheit.de). Benötigt wird mindestens Mittlere Reife oder ein Hauptschulabschluss plus abgeschlossene Ausbildung. Die Klassenstärke liegt bei 15 Azubis.

„Wir planen, während der Ausbildung in Kooperation zudem den Bachelor-Abschluss anbieten zu können. Das müssen die Schüler dann aber selbst wissen, ob sie das wollen oder nicht“, ergänzt Astrid Kusmat. Die Ausbildung dauert drei Jahre, jedes Jahr soll ein neuer Klassenverband starten. Die Schule wird also über 45 Plätze verfügen.

Bleibt die Frage, ob die fertig ausgebildeten Logopäden dem Unternehmen treu bleiben. „Wir setzen darauf, dass wir während der Ausbildung so einen guten Eindruck machen, dass die Auszubildenden gerne weiter bei Vamed bleiben wollen. Die Praxis-Einsätze werden die Auszubildenden zu einem Großteil in unserer Klinik absolvieren, so lernen sie ihren potenziellen zukünftigen Arbeitsplatz schon kennen – samt Team, Aufgaben und Mitarbeitervorteilen“, ist Nils Metzger optimistisch.