Nach Fukushima: Bundesregierung überrascht Vattenfall und Kiels Innenministerium

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist gestern ein Überraschungscoup gelungen. Vattenfall, Betreiber des Atomkraftwerkes Krümmel, wie auch das für den Katastrophenschutz zuständige Kieler Innenministerium wurden von der Ankündigung überrascht, dass Deutschland die Schutzzonen für den Fall atomarer Unfälle erheblich ausweiten will.

Etwa 160 000 Menschen mussten nach der Katastrophe von Fukushima (Japan) 2011 das Gebiet um das durch einen Tsunami verwüstete Kernkraftwerk und seine zerstörten Reaktoren verlassen. Das Gebiet innerhalb eines 20-Kilometer-Radius wird für viele Jahrzehnte Sperrgebiet bleiben. In Deutschland ist in einem solchen Fall bisher eine Evakuierungszone von zehn Kilometern vorgesehen.

Gestern verkündete Barbara Hendricks in Berlin die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission: Bei einem schweren Atom-Unfall sollen binnen sechs Stunden alle Anwohner in einem fünf Kilometer großen Radius evakuiert werden - bisher beträgt der Radius dieser Schutzzone nur zwei Kilometer. Das eigentliche Sperrgebiet soll nach den Erkenntnissen aus Japan von zehn auf 20 Kilometer Radius ausgeweitet werden. Hierfür ist ein Zeitfenster von 24 Stunden vorgesehen.

Das Atomkraftwerk Krümmel ist zwar in der Zwischenzeit vom Stromnetz gegangen, aber noch nicht abgeschaltet. Sollte es hier zu einem Unglück kommen, würde die 20 Kilometer umfassende "Mittelzone" große Teile Bergedorfs umfassen, bis weit nach Hamburg reichen. Mehrere Hunderttausend Menschen müssten evakuiert werden. Das für den Katastrophenschutz zuständige Schleswig-Holsteinische Innenministerium wollte zu Hendricks Äußerung gestern keine Stellung beziehen: "Diese Änderungen sind erst Montag bekannt geworden", sagt Pressesprecher Thomas Giebeler. "Jetzt muss erst einmal alles überprüft werden." Dazu gehört auch, welche Mengen an Jod-Tabletten für den Katastrophenfall bereitgestellt werden müssen: Sie sollen künftig in einem Radius von 100 (zuvor 50) Kilometern an die Bevölkerung verteilt werden. Die Tabletten sollen verhindern, dass der Körper radioaktives Jod aufnimmt.

Auch Krümmel-Betreiber Vattenfall war zu keiner Stellungnahme bereit. "Der Katastrophenschutz ist eine staatliche Aufgabe. Die aktuellen Planungen möchten wir nicht kommentieren", so Sprecherin Sandra Kühberger. Hendricks' Pläne könnten dem Energiekonzern noch einiges Kopfzerbrechen bereiten: Sollen doch die Kraftwerke bis zum endgültigen Atomausstieg 2020 konsequent auf dem neuesten Stand der Sicherheitstechnik gebracht und gehalten werden. Ob dies auch für Krümmel gelten soll, ist noch unklar. Eine Anfrage unserer Zeitung an die Strahlenschutzkommission wurde gestern bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.

"Wenn die Regierung glaubt, dass eine solche Gefahr von Atomkraftwerken ausgeht, warum schaltet sie diese nicht schneller ab", sagt Jochen Stay von der Anti-AKW-Bewegung "ausgestrahlt". Dennoch wertet der Pressesprecher der bundesweiten Initiative mit Sitz in Hamburg die Pläne als einen "Schritt in die richtige Richtung".