Tötung: Ärztin versäumte auf Probleme einzugehen - Verteidiger sieht hingegen Mitschuld beim Opfer

Mit Tränen in den Augen nutzte Psychiaterin Luise L. gestern ihr letztes Wort vor Gericht, um doch noch zu den Geschehnissen Stellung zu nehmen, die ihr eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung eingebracht hatten. Es sei ihr eine "Herzensangelegenheit", Menschen zu helfen, und es tue ihr "außerordentlich" Leid, was passiert sei.

Am 2. Januar hatte sie einen Patienten entlassen, der abends zuvor gedroht hatte, seine Mutter zu töten. Eine Krankenschwester gab dem jungen Mann eine Wegbeschreibung vom Krankenhaus zur Wohnung der Mutter am Rothenburgsorter Weg mit. Wenig später war sie tatsächlich tot - erstochen vom eigenen Sohn.

Staatsanwalt Dirk Hartmann war in seinem Plädoyer von der Schuld der Ärztin überzeugt. "Sie hat nicht verhindert, dass ihr Patient, wie angekündigt, ferngesteuert seine Mutter tötete, so Hartmann. Die Tötungsabsichten seien der einzige Grund gewesen, weshalb Babak M. überhaupt in die Psychiatrie gekommen sei. Hartmann: "Die Rettungskette hat funktioniert, bis sie an verantwortungsvoller Stelle bei der Ärztin riss." Babak M. habe einen "Hilferuf" ausgesandt, er habe behandelt werden wollen. Luise L. habe ihm diese Hilfe verweigert, als sie auf die Probleme des jungen Mannes nicht eingegangen sei. Deshalb sei sie für dessen Handlung verantwortlich, befand der Staatsanwalt. "Es war kein Augenblicksversagen", meinte er und erinnerte daran, dass die Tat die Familie von Babak M. zerstört habe.

Rechtsanwältin Kristin Proppe-Jörgens, die die Familie vor Gericht vertrat, sprach von einer "Tragödie", die über die Familie hereingebrochen sei. "Wenn Frau L. tatsächlich nach dem Unterbringungsbeschluss für den Patienten fragte, ist das ein Zeichen dafür, dass sie gar nicht wusste, wen sie gehen lässt", sagte die Nebenklagevertreterin. Für sie ein Indiz der Oberflächlichkeit im Klinikbetrieb.

René T. Steinhäuser, neben Johannes Altenburg und Oliver Sahan einer der drei Verteidiger der Ärztin, benötigte eine Stunde, um sein Plädoyer vorzutragen. Sein Fazit: Hätte die Mutter von Babak M. die Chance genutzt, ihre Wohnung zu verlassen, würde sie noch leben. Sie hätte deshalb eine deutliche Mitschuld an dem Geschehen. Außerdem sei dadurch laut Steinhäuser ein Zusammenhang zwischen dem Pflichtverstoß der Ärztin und der Tat nicht gegeben. Deshalb könne man seine Mandantin dafür nicht zur Rechenschaft ziehen, so Steinhäuser. Er forderte einen Freispruch. Zudem warf er Gericht und Staatsanwaltschaft vor, mit Professor Dr. Hans-Ludwig Kröber einen Gutachter bestellt zu haben, der wegen seiner "Beliebigkeit der Aussagen" gerne gewählt werde. Es sei ein "fatales Signal", so Steinhäuser, wenn Ärzte künftig für so eine Art der Fahrlässigkeit verklagt werden, ein Verstoß gegen eine Unterbringung nicht bestraft werden würde. Das sei zum Nachteil von Patienten.

Die VII. Große Strafkammer kam nach zweieinhalbstündiger Beratung zu dem Entschluss, dass Luise L. die Verantwortung zu tragen hätte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann noch Berufung dagegen eingelegt werden.