Bluttat: Schwester Kerstin S.: “Ich hatte nicht erwartet, dass er einfach wieder gehen könnte“

Trägt die Ärztin Luise L. eine Mitschuld am Tod von Manijeh F.? Diese Frage muss das Landgericht in Lübeck dieser Tage klären. Die Geesthachterin Manijeh F. wurde am 2. Januar in ihrer Wohnung am Rothenburgsorter Weg von ihrem eigenen Sohn Babak M. getötet. Er litt unter Wahnvorstellungen, hörte Stimmen. Deshalb war der 31-Jährige bereits zuvor freiwillig in die psychiatrische Abteilung des Geesthachter Johanniterkrankenhauses gekommen.

In der Nacht vor der Bluttat hatten Zeugen die Polizei informiert, weil ihnen Babak M. im Bus von Bergedorf nach Geesthacht schilderte, dass er seine Mutter töten wolle. Der verwirrte Mann bat um Hilfe. Polizisten brachten ihn daraufhin ins Johanniter-Krankenhaus und berichteten Schwester Kerstin S., die seit Jahren auf Station 11 arbeitet, von den Wahnvorstellungen des Mannes. Die 44-Jährige gab diese Information mindestens dreimal an die diensthabende Ärztin Luise L. weiter. Die Ärztin kam aus der Bereitschaftszeit, um den Patienten zu begutachten. Doch in dem Gespräch mit dem 31-Jährigen ging Luise L. nicht auf dessen Probleme ein.

Ein Fehler, glaubt man Professor Dr. Hans-Ludwig Kröber, dem Direktor der psychiatrischen Abteilung der Berliner Charité. "Die Stimmen scheinen den Patienten sehr belastet zu haben, wenn er selbst im Bus darüber spricht. Und man sollte solche Probleme, die einen Patienten sehr betrüben, auch ansprechen", sagte Kröber.

Er hat den Fall im Auftrag der Staatsanwaltschaft untersucht und Mängel in der Arbeit von Luise L. festgestellt. Deshalb sitzt die 54-Jährige jetzt auf der Anklagebank. Auch an das Pflegepersonal richtet Kröber Kritik. So habe Schwester Karoline P. (28) Babak M. in der EDV als "entlassen" vermerkt, obwohl er gesagt hatte, er wolle nur ein paar Sachen und Geld von seiner Mutter holen und gleich zurückkehren.

Die 28-Jährige hielt mit Luise L. Rücksprache und ließ Babak M. dann gehen. Er war ja freiwillig da. Dann gab sie ihm noch eine Wegbeschreibung von der Klinik zur Wohnung seiner Mutter mit auf den Weg. Auf den Gedanken, die angekündigten Tötungsabsichten noch einmal gegenüber der Ärztin zu thematisieren, war Karoline P. nicht gekommen, wie sie auf Nachfrage von Richterin Helga von Lukowicz gestern einräumte. Das sei nicht ihre Aufgabe, erklärte sie.

Bei der Befragung der insgesamt vier Krankenschwestern gestern wurde deutlich, dass man sich über das Vorgehen von Luise L. durchaus gewundert habe. Kerstin S. ging davon aus, dass im Tagesdienst die Probleme des 31-Jährigen ernsthaft angegangen würden, nachdem Luise L. nachts nur kurz mit Babak M. gesprochen hatte. "Der Patient war sehr verängstigt, er bat um Hilfe, war sehr freundlich und dankbar, dass wir uns um ihn kümmern wollten", berichtete Kerstin S. während ihrer Befragung. "Einmal sah er mich an, da bekam ich richtig Angst, es war für mich, als ob eine zweite Person in ihm wäre, die mich ansehen würde", sagte die erfahrene Krankenschwester. Im Gespräch mit Luise L. habe sich der 31-Jährige dann die Ohren zugehalten, um die inneren Stimmen nicht zu hören. "Er war schon ein sehr besonderer Patient. Es war zu sehen, dass er stark beeinträchtigt war, und es war eindrucksvoll, zu sehen, wie akut seine Probleme waren", sagte die 44-Jährige.

Doch Luise L. schien all das, was die Schwester bemerkt hatte, verborgen geblieben zu sein. Und selbst die direkte Ansprache der Schwester bewirkte bei der Ärztin keine anderen Maßnahmen. So konnte Babak M. am 2. Januar gegen 7.30 Uhr gehen und seinen Wahn in die Tat umsetzen. "Ich hätte nicht erwartet, dass er einfach so wieder gehen könnte", sagte Kerstin S. gestern.

Tage nach der Bluttat gab es eine Teamsitzung der Psychiatrie, in der beratschlagt wurde, was man künftig anders machen könnte, um solche schlimmen Folgen zu verhindern. Zu spät für Manijeh F. und Babak M., der seit seiner widerstandslosen Festnahme in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung sitzt. Der Prozess wird fortgesetzt.