Heinrich-Jebens-Siedlung: Zwei Straßen, 15 Häuser und viele Geschichten - Alte und neue Einwohner fühlen sich hier wohl

Die Zweige der Linden rechts und links der Straße sind fast schon kahl und rauschen im Wind. Der Geruch von Laub, Tannenzweigen und Äpfeln zieht in die Nase. Irgendwo bellt fröhlich ein Hund. Der Blick ist frei auf Felder und die Kreisforsten. Trotzdem zeigt das gelbe Ortseingangsschild dem Besucher: "Sie betreten jetzt die Stadt Geesthacht." Das stimmt - und irgendwie auch nicht. Denn der Ortsteil Heinrich-Jebens-Siedlung ist eine kleine Welt für sich - und eines überhaupt nicht: urban.

Die ländlich geprägte Art zu Leben ist historisch begründet. Denn als die 15 Siedlungshäuser in den 50er-Jahren errichtet wurden, sollte jede Familie Selbstversorger sein. Deshalb erhielten sie Land, ein Schwein, eine Kuh und zehn Hühner. Obstbäume und ein Stall gehörten ebenfalls zu jedem Gebäude dazu (siehe Kasten). "So konnte sich jeder mit den wichtigsten Lebensmitteln selbst versorgen", sagt Heimatforscher Helmut Knust, der sich mit der Geschichte der kleinen Geesthachter Enklave beschäftigt hat. Viele Grundideen sind bis heute erhalten. Nach dem Ortseingang gabelt sich die Siedlung in zwei Straßen. Ein Briefkasten wartet an der Kreuzung auf die tägliche Leerung um 8 Uhr morgens. "Früher kam der Postbote aus Richtung Hasenthal", weiß Knust. Heute ist diese Verbindung eine beliebte Fahrradstrecke. Ein Traktor knattert vorbei. Der Bauer hebt die Hand zum Gruß. So macht man das hier. Am Straßenrand reihen sich die Mirabellen-Bäume entlang des Knicks aneinander. Sie sind, wie viele alte Obstbäume, bei Siedlungsgründung gepflanzt worden. Besucher passieren einen Kartoffelacker und alte Häuser in neuem Gewand, ein Schild weist auf die Gärtnerei von Bernd Piper. Ein Stück weiter steht das Haus von Alfred und Charlotte Drews. Die Außenansicht ist im Original erhalten.

"Wir haben das Haus in den 60er-Jahren von meinem Schwiegervater Gustav Drews übernommen", erzählt Charlotte Drews. Die 75-Jährige war einst mit ihrer Familie aus Pommern geflohen und lebte nach dem Krieg im Flüchtlingslager Grüner Jäger. Mit ihrem Mann Alfred Drews hat sie jahrzehntelang mehr als einen Hektar Land bewirtschaftet, sich um Schweine und Hühner gekümmert. Das ganze Dorf habe sich damals einen Trecker samt Anhänger geteilt. Auch ihre drei Söhne sind in dem Siedlungshaus groß geworden. "Manchmal waren wir so eingeschneit, dass wir die Kinder mit der Taschenlampe über das Feld durch meterhohe Schneemassen zur Schule nach Grünhof bringen mussten", erinnert sich die Seniorin und muss schmunzeln. Die Schule ausfallen lassen, das war nicht drin. Die Kinder sind mittlerweile aus dem Haus. Das große Landstück hinter dem Gebäude können die Eheleute heute nicht mehr bewirtschaften. Aber zwei Schweine haben sie nach wie vor.

Ohnehin sind viele Tiere bis heute Teil der Siedlergemeinschaft. Auf einer Weide stehen Pferde, nebenan Schafe und Hühner. Doch nicht nur Nutztiere, auch Haustiere leben in der Heinrich-Jebens-Siedlung.

"Wir sind 1999 wegen unserer Hunde aus Neuallermöhe hierher gezogen", sagt Brigitte Ripp. Sie ist eingetragene Züchterin für Berner Sennenhunde (www.annenfleet.de). Zwölf Stück leben auf ihrem Grundstück nahe des Ortseingangs. "Unseren ersten Berner Sennenhund haben wir aus dem Tierheim geholt und waren von ihm begeistert", erinnert sich Brigitte Ripp. Aus der Liebe zu dem Tier hat sich ein ernsthafter Vollzeitjob entwickelt. "Unsere Kunden kommen von überall her. Wir brauchen gar nicht viel Werbung zu machen." Ein Welpe sei zum Beispiel nach München verkauft, ein anderer lebe mittlerweile in den USA.

Schräg gegenüber von Familie Ripp hört man eher mal ein Miau als Hundegebell. Denn hier wohnen mit Steven Rossow und Katze "Pia" zwei Neusiedler. "Wir sind vor drei Jahren hergezogen", erzählt der 29-Jährige. "Ich arbeite in Hamburg, meine Familie wohnt in Schwerin." Der junge Mann wollte gern aufs Land und hat in der Heinrich-Jebens-Siedlung ein Heim gefunden, in dem er sich heute sehr wohl fühlt.