Buchholz. Schmetterlingspuppen sind seltsam geformte Gebilde, die gar nicht so aussehen, als könne etwas Lebendiges in ihnen stecken. Doch dann beginnen sie plötzlich zu zucken und zu pendeln und dann – tut sich ein Spalt auf. Aus der festen Hülle quillt langsam etwas Weiches, Buntes. Was zunächst wirkt wie zerknülltes Stück Papier, entfaltet sich binnen Minuten zu einem Schmetterling mit hauchzarten Flügeln.
Das Schlüpfen eines Schmetterlings ist immer wieder ein erstaunliches, buchstäblich wunderbares Erlebnis. Auch für Christine Krause, obwohl sie es schon tausendmal beobachtet hat. Denn sie ist Betreiberin des Alaris-Schmetterlingsparks in Buchholz in der Nordheide.
Dem Passionsfalter, der sich an einem sonnigen Märztag als erster aus seiner Hülle drückt, sieht sie mit besonderer Freude und Rührung zu. Bedeutet seine „Geburt“ doch die Rückkehr des Lebens in die Glashäuser und damit den Weiterbestand ihres Herzensprojekts.
700 Schmetterlinge in den verschiedensten Farben, Formen und Größen
Am Sonnabend, 25. März wird sie die Türen des Schmetterlingsparks wieder für Besucher öffnen. Bis dahin werden etwa 700 weitere Schmetterlinge in verschiedensten Farben, Formen und Größen den Urwald unter Glas bevölkern, darunter leuchtend blaue Himmelsfalter mit Flügelspannweiten von bis zu zwölf Zentimetern.
Zur Freude des Publikums werden sie scheinbar schwerelos durch die 24 Grad warme, feuchte Luft gaukeln, durch den sattgrünen Dschungel segeln, bunte Blütenkelche umtanzen und mit haarfeinen Rüsseln Saft aus Orangenscheiben saugen. Wer rote Kleidung trägt, darf damit rechnen, dass einer der bunten Flatterer auf seiner Schulter landet. Und wer vormittags kommt, hat gute Chancen die „Geburt“ eines Schmetterlings zu erleben.
Bananenstauden, Avocadobäume, Zitrusbüsche: Ein Stückchen Tropen in der Nordheide
Dass dieses Stückchen Tropen in der Nordheide nach der Winterpause wieder erwachen würde, schien bei Saisonende im vergangenen Herbst angesichts hoher Energiepreise und Erdgasknappheit keineswegs sicher. Denn ein Heizungsausfall hätte die exotische Vegetation absterben lassen.
Und ohne Bananenstauden, Avocadobäume, Zitrusbüsche und zahllose andere Urwald-Gewächse fehlten den auf einzelne Pflanzenarten spezialisierten Schmetterlingen die Blätter zur Eiablage und den sich daraus entwickelnde Raupen die Futterpflanzen. Ein Albtraumszenario für Christine Krause, die sehr stolz darauf ist, dass in ihrem Park alle Entwicklungsstadien vom Ei bis zum Schmetterling zu beobachten sind.
In weich gepolsterten Päckchen werden die Puppen aus Asien verschickt
Doch nun ist die Gefahr überstanden. Obwohl die Temperatur im Gewächshaus wegen der hohen Gaskosten um zwei Grad niedriger gehalten wurde als in vorigen Wintern, nämlich bei zehn Grad Celsius, haben ausnahmslos alle Pflanzen die Kälteperiode überstanden. Und auch Christine Krause lebt auf. Seit Wochen bereitet sie sich voller Vorfreude auf die Wiedereröffnung vor. Damit die Vegetation wieder üppig sprießt, musste ein fachgerechter Rückschnitt erfolgen und frische Erde ausgebracht werden, die beiden Teiche wurden gesäubert und die Goldfisch dafür kurzzeitig umgesiedelt
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Jetzt, kurz vor Saisonbeginn, besteht ihre Hauptaufgabe im Überwachen der Schmetterlingspuppen, die alle 14 Tage in weich gepolsterten Päckchen per Post bei ihr eintreffen. Kleine, sorgfältig ausgewählte Zuchtbetriebe Südostasiens und Lateinamerikas liefern die Puppen zum Stückpreis von 1,40 Euro bis 8 Euro.
Zum Schlüpfen muss die Puppe aufgehängt werden
Christine Krause lagert die ganz unterschiedlich geformten und gefärbten Insektenhüllen in fest verschlossenen Plastikschachteln, um sie vor dem Austrocknen zu schützen. Mehrmals täglich muss sie den Zustand jeder einzelnen Larve kontrollieren. Die Zeit der Puppenruhe variiert je nach Art und Umgebungstemperatur. Es gilt, rechtzeitig zu erkennen, wann der Schmetterling schlüpfen wird. Denn zuvor muss die Puppe aufgehängt werden. Läge sie am Boden, könnte der Schmetterling sich nicht entfalten und seine Flügel nicht trocknen. Das Leben der Falter hängt buchstäblich am seidenen Faden.
„Ich habe Jahre gebraucht, bis ich sicher an der Farbveränderung und der Härte der Hülle erkennen konnte, wann das Schlüpfen bevorsteht“, erzählt Christine Krause. Gern öffnet sie die Dosen, um die teils farbig glänzenden, teils schlicht braunen Naturwunder den Park-Besuchern zu zeigen. Momentan ist auch noch selbst gezüchteter Schmetterlingsnachwuchs aus dem Vorjahr am Strauch zu besichtigen. Puppen des „Scharlachroten Ritters“ hängen schon seit dem Herbst in einem Zitrusbusch. Die Kühle des Winters hat ihre Entwicklung stark gehemmt.
Niemand verlässt den Schmetterlingspark ohne Aha-Erlebnis
Exemplare, die inmitten von Blättern baumeln, haben exakt deren grüne Farbe. Andere Puppen der gleichen Art, aber nahe am Geäst hängend, sind braun gefärbt. Ein Tarneffekt, der sie in der freien Natur schützen würde. „Aber Puppen haben keine Augen. Wie können sie wissen, welche Farbe ihre unmittelbare Umgebung hat?“, fragt Christine Krause. „Niemand weiß es. Das ist ein weiteres Rätsel um diese wunderbaren Verwandlungskünstler.“
Christine, die am liebsten Tini genannt wird, ist es ein Bedürfnis, ihre Gäste an der eigenen Begeisterung teilhaben zu lassen, Zuneigung für die zarten Falter zu wecken und Verständnis für ökologische Zusammenhänge zu schaffen. Niemand verlässt den Schmetterlingspark ohne Aha-Erlebnis. Ehemann Robert unterstützt sie dabei, soweit sein Job als Konrektor der Hauptschule Tostedt das zulässt.
Sohn Til, 13, wird am Eröffnungstag Waffeln backen
Am Eröffnungswochenende wird Robert fachkundig durch die Gewächshäuser führen, während Tini die Besucher am Eingang im Empfang nimmt und im Café, Torten, Kuchen und auch selbst gemachte Quiche serviert. Sohn Til, 13, wird Waffeln backen und Tochter Ida, 11, wird sich beim Kinderbasteln nützlich machen.
„Ohne dass die ganze Familie sich für den Schmetterlingspark interessiert, ginge es nicht. Ich bin so dankbar, dass alle mitziehen“, sagt Christine Krause. Beide Kinder haben schon enormes biologisches Wissen erworben. So kennen sie die größten Feinde der Schmetterlinge: Spinnen und Ameisen. Während Spinnen die Falter in ihren Netzen fangen, fressen Ameisen ruhende Schmetterlinge bei lebendigem Leib auf, ohne dass die es merken. „Schmetterlinge haben kein Schmerzempfinden“, weiß Ida.
Es gibt auch eine Parkpolizei: 13 putzige Zwergwachteln, die ständig piepsen
Sie weiß auch, wie man dem gefährlichen Ungeziefer beikommt: Mit Zwergwachteln. Kürzlich hat das Mädchen beim Geflügelzüchter 13 der kaum faustgroßen Federknäuel auswählen dürfen, die nun auf der Jagd nach Ameisen und Spinnen durch die Glashäuser wuseln.
Die putzige „Parkpolizei“ entzückt nicht nur Kinder. „Ich liebe ihr zartes Piepsen, das habe ich im Winter so vermisst“, seufzt Tini ein ums andere Mal, als die kleinen Vögel erstmals ihre neue Umgebung erkunden. Die Schmetterlingsleibgarde des Vorjahres war nämlich spurlos verschwunden. Niemand weiß, wie und wohin die Zwergwachteln entkamen. „Es gab da ein paar kleine Löcher in den Wänden, vielleicht sind sie da durchgeschlüpft.“
Der Park muss dringend modernisiert werden – auch wegen der hohen Energiekosten
Klar ist, dass das 34 Jahre alte Gebäude in Kürze weichen muss, nicht nur wegen der Undichtigkeiten. Nach Saisonende, im Herbst dieses Jahres, sollen die Gewächshäuser abgerissen und durch eine Industriehalle an gleicher Stelle ersetzt werden. Nicht größer, aber schöner soll der neue Park anschließend werden. Und vor allem klimafreundlicher. Gut gedämmt. Beheizt mit erneuerbaren Energien. Zehn Tage werde es dauern, die neue Hülle zu errichten, sagen Experten. Zehn Tage, in denen die Tropenpflanzen schutzlos unter freiem Himmel stehen müssen, in denen es nicht kalt werden darf. Zehn Nächte, in denen die Krauses kaum Schlaf finden werden.
Eine Alternative sehen sie nicht. Sie wollen, sie müssen modernisieren und autark werden. Nicht länger abhängig vom Erdgas sein. Nie wieder um den Fortbestand des Parks bangen, der längst das Leben der ganzen Familie erfüllt und bestimmt. Der regional ehrenamtliche Unterstützer mobilisiert und Besucher von nah und fern anzieht. „Reisegesellschaften, Vereine, Kindergartengruppen und Schulklassen haben ihr Kommen bereits angekündigt. Führungen, Kindergeburtstags- und Jubiläumsfeiern sind schon gut gebucht“, sagt Christine Krause stolz. Und neue Schmetterlinge schlüpfen jetzt täglich in einem Tempo, als wüssten sie, dass bald die Saison beginnt.
ALARIS Schmetterlingspark, Zum Mühlenteich 2, Buchholz, geöffnet ab 24. März, täglich von 10 bis 17 Uhr. Eintritt: Erwachsene 9,50 Euro, Jugendliche ab 13 Jahren sowie Schüler, Studierende und Menschen mit Behindertenausweis ab 80 GdB: 7,50 Euro. Kinder von 3 bis 12 Jahren: 6 Euro, Babys und Kleinkinder unter drei Jahren frei. Weitere Infos unter www.alaris-schmetterlingspark.de
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