Hamburg. Es ist eine schwierige Phase im Leben von Jugendlichen – aber auch ihrer Eltern: Wenn sich eben noch verspielte und verschmuste Kinder zurückziehen, immer häufiger trotzig reagieren und sich viel stärker an Freunden orientieren als an Mutter und Vater, dann nennt man das wohl Pubertät. Erste Erfahrungen mit Liebe, vielleicht auch Alkohol, Drogen und Sex kommen hinzu und Eltern haben manchmal das Gefühl, sie könnten gar nicht mehr zu Tochter oder Sohn durchdringen.
„Die Umgestaltung des kindlichen in einen erwachsenen Körper und auch die psychische Entwicklung ist ein ungeheuer wichtiger, aber auch für alle Beteiligten auch schmerzhafter Prozess“, sagt der Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge im Erziehungs-Podcast des Abendblatts „Morgens Zirkus, abends Theater“.
Vieles wendet sich nach Pubertät zum Guten
Da entstehe ja nicht gleich die Venus oder ein Adonis. „Auch die Jugendlichen fühlen sich in diesem Alter weder als Fisch noch Fleisch.“ Jan-Uwe Rogge machte vor 30 Jahren mit seinem Buch „Kinder brauchen Grenzen“ Furore, aber der Bargteheider hat auch viele weitere Bücher geschrieben – unter anderem zum Thema Pubertät.
Seine Botschaft: Durch diese Phase muss man durch, Eltern bleiben wichtig und vieles wendet sich am Ende zum Guten. Kürzlich habe ihm ein 14-jähriges Mädchen geschrieben: „Herr Rogge, meine Eltern tun mir leid, aber ich kann nicht anders.“ Die Jugendlichen hätten also oft selbst ein Gespür dafür, dass sie ungnädig sind.
Kinder haben Gespür, ob Eltern authentisch sind
„Da das aber schwer auszuhalten ist, finden sie die Eltern doof. Das bedeutet aber auch: Zu Hause finden die Jugendlichen den geschützten Raum, in dem sie das rauslassen können. In gewisser Weise ist das auch ein Vertrauensbeweis und ein Zeichen dafür, dass sie sich trotz aller Stacheln zu Hause geborgen fühlen“, sagt Rogge. „Die Jugendlichen zeigen, dass sie ihren Eltern vertrauen, dass sie sie so annehmen, wie sie gerade sind.“
Kinder können es aushalten, wenn auch ihre Eltern mal ausflippen, sie müssten nicht ihre Erziehung wie eine Selbsterfahrungsgruppe gestalten: Erst ins Chakra einatmen, dann was sagen. Kinder hätten ein gutes Gespür dafür, ob ihre Eltern authentisch sind, und fordern das auch ein.“ Sie piksen gern mal immer weiter – solange, bis sich ihre Eltern ihnen zeigen als die, die sie sind. „Das Vertrauen, das Jugendliche haben, sich in ihrem Heimathafen ausleben und ausdrücken, finde ich ausgesprochen toll. Ebenso, wenn Eltern ihren Heranwachsenden diesen Raum und diese Zeit geben.“
Pubertierende müssen sich abgrenzen
Aber bitte: Eltern sollten in dieser Zeit nicht versuchen, der beste Freund oder die beste Freundin der Kinder zu sein – „das geht überhaupt nicht.“ Spätestens, wenn die Kinder in die Pubertät kommen, sollte für die Eltern Schluss sein mit „young forever“ – das finden die Pubertierenden schrecklich.
Die wollen und müssen sich abgrenzen. Die Eltern sind eben älter, und auf diese Erfahrungsvorsprünge wollen Pubertierende auch bauen. Ihre Stimmungsschwankungen sind vor allem ein neurologischer Prozess, es verändert sich nicht nur das Aussehen, sondern auch die Psyche. Das Zeitgefühl wird ein anderes, man betrachtet sich selbst kritischer oder wird vielleicht im Gegenteil egozentrischer.
Herausfordernder Prozess für die Eltern
Natürlich: Für Eltern ist dieser Prozess sehr herausfordernd, wobei noch etwas Weiteres dazukommt: Auch Eltern machen in dieser Zeit oft eine Veränderung durch – das, was man früher Wechseljahre nannte oder eine Midlife-Crisis. „In einem Bild gesagt: In einem Haus, in dem es eben noch friedlich war, prallen auf einmal zwei Hormonbomber aufeinander. Und da entstehen Gase, die zur Explosion kommen“, so Rogge.
Wie kann man die Kinder in dieser Phase bestmöglich unterstützen? „Wichtig ist, nicht zu denken ,Oh, mein Gott, wo soll das enden?‘ Sondern im Hier und Jetzt zu bleiben.“ Das Lied von Udo Lindenberg „Hinterm Horizont geht’s weiter“ beschreibt es für Rogge am besten. „Denn es geht ja weiter.“
Drei zentrale Dinge in der Erziehung
Drei Dinge seien zentral: Was in den ersten zehn oder elf Jahren an Vertrauen zwischen Eltern und Kindern aufgebaut wurde, das geht nicht kaputt. Das ist „ein Fundament, auf dem eine ganze Menge Porzellan zerbrechen kann“. Zweitens ist es gut, in der Familie ein Ritual zu haben, wo man zusammenkommt, beim Essen oder einer gemeinsamen Unternehmung, wo man zusammen etwas erlebt und sich aussprechen kann über das, was gut ist, und das, was nicht gut ist.
Und drittens: Wenn „Eltern in die Pubertät kommen“ dürfen sie ihre Elternschaft zwar nicht vergessen, sollten sich aber als Paar auch an ihre Partnerschaft erinnern. „Ich rate ihnen immer: Geht doch mal aus, geht ins Kino oder zum Essen, fahrt mal übers Wochenende weg, seid wieder ein Paar, Mann und Frau und habt euch lieb. Vergesst eure Schreihälse und -hälsinnen zu Hause mal vorübergehend.“
Loslassen hat nichts mit Fallenlassen zu tun
Die Kinder müssten spüren: „Bei meinen Eltern passiert eine ganze Menge – und das ist gut. Ich kann darauf vertrauen, dass die sich immerzu um meine Person kümmern, sondern die haben genügend im Guten miteinander zu tun.“ Gerade in der Pubertät sei es umso wichtiger, aus der Partnerschaft Kraft zu beziehen für die nervenaufreibende Erziehungsaufgabe. Und die Kinder erleichtert es, wenn sich nicht der ganze Fokus auf sie richtet. Rogge: „Wenn du die Kinder loslässt, hast du die Hände frei für Neues.“
Loslassen habe aber nichts mit Fallenlassen zu tun. Eltern sind weiterhin verantwortlich für die Erziehung ihres Kindes. „Eltern bleiben Leuchttürme, die am Eingang des Hafens stehen und blinken, damit die Kinder den Hafen finden, den sie anlaufen können, wenn die Stürme toben“, sagt Rogge. Dafür müssten die Eltern blinken. Aber auch wissen: Die Kinder kommen nicht, wenn die Eltern blinken, sondern wenn die Stürme toben.
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