Kiel/Rostock. In den Meeren rotten weiter Bomben, Minen und Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg vor sich hin. Eine neue Robotertechnik soll helfen.

Der Naturschutzbund Nabu hat ein Bündnis zur Bergung von Altmunition aus Nord- und Ostsee gefordert. "Millionen Tonnen von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee stellen als Sondermüll nicht nur eine Gefährdung für den Schiffsverkehr dar", sagte Schleswig-Holsteins Nabu-Landesvize Dagmar Struß. Für eine naturverträgliche Bergung der Altlasten sei ein Zusammenschluss von Bund und Ländern nötig, um Geld und die organisatorischen Voraussetzungen bereitzustellen.

Knapp 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erodiere die Munition im Meer und setze zunehmend mehr Giftstoffe frei, die sich in Meeresflora und -fauna anreichern und über die Nahrungskette auch den Menschen erreichen, sagte Struß. Dabei stehe bereits Robotik zur naturschonenden Bergung bereits in den Startlöchern. "Sobald die Finanzierung steht, kann die Erprobung dieser Technik starten."

Unterstützung erhält der Verband von der SPD. Die Umweltpolitikerin Sandra Redmann sagte der dpa, "Nord- und Ostsee sind eine tickende Zeitbombe. Allein im Rahmen des Zweiten Weltkriegs wurden bis zu 1,6 Millionen Tonnen konventionelle und 220 000 Tonnen chemische Kampfmittel aus Wehrmachtsbeständen in Nord- und Ostsee versenkt." Redmann forderte, dass "die Mittel für die Beseitigung der Munitions-Altlasten bereitgestellt werden, die dafür benötigt werden".

Munitionsaltlasten in den Meeren: Gefahr für Mensch und Natur

Der Rostocker CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Stein will noch in diesem Jahr einen Vorstoß starten, um möglichst alle Anrainerstaaten für ein gemeinsames Bergungsprogramm zu gewinnen. "Die Altlasten schaffen Arbeit für 100 Jahre, doch geben uns Experten wegen der fortschreitenden Materialkorrosion nur 20 Jahre Zeit, um schlimmeres zu verhindern", erklärte Stein. Unklar ist aber, ob er seine Vorschläge auf der nächsten Vollversammlung der Ostseeparlamentarierkonferenz vortragen kann. Diese ist für Ende August in der litauischen Hauptstadt Vilnius geplant, steht wegen der Corona-Pandemie aber in Frage.

Stein, Berichterstatter der Konferenz für Munitionsaltlasten in der Ostsee, plädiert für einen multinationalen Finanzierungsfonds. "500 Millionen Euro wären angesichts der Herkules-Aufgaben für den Anfang ein angemessener Betrag. Und wenn Deutschland die Hälfte davon trüge, wäre das ein wichtiges Signal an die anderen Staaten", sagte Stein. Er verwies auf aktuellste Schätzungen, nach denen für Bergung oder Beseitigung der in Nord- und Ostsee versenkten Kampfmittel 70 bis 100 Milliarden Euro veranschlagt würden. "Man kann sicher nicht alles rausholen. All das aber, was für Mensch, Tiere und Pflanzen Gefahren birgt, muss geborgen oder unschädlich gemacht werden", mahnt Stein.

Erst Ende 2019 hatten die Umweltminister der drei Küstenländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen einen Länder-Vorstoß zur Beseitigung von Munition in Nord- und Ostsee gestartet. Bei ihrem Treffen in Hamburg brachten die Ressortchefs von Bund und Ländern gemeinsame "Arbeitsgruppen" auf den Weg.

Kritik an Bundesregierung

"50 Jahre lang hat der Staat das Problem der Munition in Nord- und Ostsee verneint, auf unsere Bemühungen aus Schleswig-Holstein hin kommt man jetzt endlich ins Handeln", sagte Jan Philipp Albrecht der dpa. "Das ist wichtig, denn angesichts der Zerfallsprozesse unter Wasser arbeitet die Zeit gegen uns." Die Beschlüsse der Umweltminister seien eine gute Grundlage, um ein tragfähiges Konzept für die Beseitigung der Munition in Ost- und Nordsee zu entwickeln. "Ich bin zuversichtlich, dass dabei sowohl der Bund als auch die Länder und die EU ihrer Verantwortung gerecht werden."

Den Umweltschützern reicht das nicht aus. Nabu-Expertin Struß erinnerte an die 2008 in Kraft getretene europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Bis Mitte 2020 wollten die Mitgliedsstaaten einen guten Zustand der Meeresumwelt erreichen, sagte sie. "Von der kläglichen Erfolgsbilanz der Richtlinie als Ganzes abgesehen muss konstatiert werden, dass bezüglich der Munitionsaltlasten in diesen Jahren faktisch nur wenig geschehen ist."

Struß kritisierte insbesondere die Bundesregierung. Diese halte sich mit der notwendigen Freigabe von Haushaltsmitteln weitestgehend zurück. "Deutschlandweit konnte man bisher den Eindruck gewinnen, dass die kostenintensive Beseitigung von Weltkriegsmunition allein eine Aufgabe der Bundesländer sei, die an Nord- und Ostsee grenzen."

Umstrittene Sprengungen von Kriegsminen in der Ostsee

Thema bleiben für den Nabu weiter auch umstrittene Sprengungen von Kriegsminen im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt in der Ostsee. Zunächst waren innerhalb eines Monats nach der Sprengung im August vergangenen Jahres 18 tote Schweinswale gefunden worden, später erhöhte sich die Zahl auf 30.

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"Dass nun die Bundeswehr im Rahmen von Manövern im europäischen Kontext das Problem einfach wegzusprengen versuchte, war höchst kontraproduktiv", sagte Struß. Mit der Begründung "Gefahr im Verzug" seien dabei 2019 ohne jeglichen Schallschutz in mindestens 42 Fällen teilweise sogar in Naturschutzgebieten Minen gesprengt worden. Dabei seien nicht nur die Schweinswale extrem gefährdet, sondern auch Schadstoffe wie TNT, Quecksilber und Kadmium freigesetzt worden. "Durch EU-Recht geschützte Riffe im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt wurden schlichtweg zerstört, Wale - um 30 tote Tiere wurden im fraglichen Zeitraum geborgen - wurden mutmaßlich ebenfalls Opfer dieser Aktion, die nicht einmal einer Umweltbehörde angekündigt wurde."