Kiel. So viel Öffentlichkeit bekommen viele Politiker in jahrzehntelangen Karrieren nicht wie Aminata Touré in ein paar Wochen. „Der Spiegel“ hat sie porträtiert, die „Süddeutsche Zeitung“ über sie geschrieben, mit Barack Obama sprach sie in Berlin. Touré sitzt für die Grünen seit zwei Jahren im Kieler Landtag. Dessen Vizepräsidentin wird sie im August – mit erst 26 Jahren. Sie muss dann Abgeordnete zur Ordnung rufen, die mehr als doppelt so alt sind. „Ich gehe mit Respekt an die Sache“, sagt Touré - und macht den Eindruck, dass sie sich den Aufstieg ins Präsidium zutraut. Sie löst dort Parteifreund Rasmus Andresen ab, der ins EU-Parlament wechselt.
Touré kam 1992 in Neumünster in einem Flüchtlingslager zur Welt, nach der Flucht ihrer Familie aus dem Chaos im westafrikanischen Mali. Zwölf Jahre später, nach lauter Kettenduldungen, bekam die Familie die deutsche Staatsbürgerschaft. Damit konnte sie auch wieder nach Mali reisen, für Aminata war es als 13-Jährige der bisher einzige Afrika-Besuch. Im Kieler Landtag ist sie die erste schwarze Abgeordnete, wie die Politikwissenschaftlerin selbst sagt, und in Deutschland eine von sieben afrodeutschen Parlamentariern, bei geschätzt 1,5 Millionen dunkelhäutigen Menschen.
Kernthemen sind Flüchtlings- und Frauenpolitik
Für ihre Kernthemen Flüchtlings- und Frauenpolitik streitet Touré leidenschaftlich. Mit Engagement und rhetorischer Klarheit erwarb sie sich in kurzer Zeit Respekt – sowohl bei Freunden als auch bei politischen Gegnern. Wenn der frühere Koalitionspartner SPD den Grünen politischen Verrat vorwirft, bringt das Touré, die mit ihrem Mann in Kiel lebt, in Wallung. Hip-Hop hilft beim Runterkommen.
Touré arbeitet sich öfter mal an der SPD ab. Bestürzt sei sie, wenn ihre Dispute mit SPD-Landeschefin Serpil Midyatli als Schlagabtausch zwischen Frauen mit Migrationshintergrund wahrgenommen werden, die doch eigentlich miteinander solidarisch sein müssten. „Das empfinde ich als völlige Entpolitisierung unserer Personen, denn wir streiten ja über sachliche Dinge“, sagt Touré. „Wenn ich der Meinung bin, die SPD vertritt merkwürdige Thesen, werde ich das immer klar sagen – das hat auch mit Respekt gegenüber einem politischen Gegner zu tun.“
„Schlechtes Gewissen“ der Grünen
Wie sieht der das? Touré sei sehr temperamentvoll und verstehe es durchaus, sich darzustellen, sagt SPD-Fraktionschef Ralf Stegner. „Sie ficht dabei auch mal eine harte Klinge.“ Für Stegner spielt Touré „das schlechte Gewissen“ der Grünen, etwa wenn sie den eigentlich nicht gewollten Bau einer Abschiebehaft vertreten müsse.
Auch die Modezeitschrift „Vogue“ hat eine Story mit Touré gemacht. Wo ihre Grenze liege? „Sie ist da, wenn etwas nichts mehr mit meiner politischen Arbeit zu tun hat. Ich bin kein Lifestyle-Model.“ Sie wolle auch Menschen erreichen, die nicht täglich Zeitung lesen. „Mir haben superviele „Vogue“-Leserinnen geschrieben, sie hätten noch nie etwas über eine schwarze Politikerin mit so coolen Aussagen gelesen.“
Der öffentliche Wirbel um sie mache ihr nichts aus. „Ich freue mich, wenn mir Anerkennung für meine Arbeit zuteilwird und dies auch über große Medien geschieht“, sagt Touré. Sie wolle so zeigen, wofür sie stehe und arbeite. Dafür nutzt Touré Instagram. „Viele wissen gar nicht, was Politiker und Politikerinnen, die sie gewählt haben, den ganzen Tag so machen.“ Die Transparenz passt zum Namen Aminata: Er bedeutet die Vertrauenswürdige, Frau des Friedens und der Harmonie.
Politische Zukunft sieht sie weiter im Norden
Wütend machen Touré Politiker, die gesetzliche Grundlagen sowie die Ursachen von Flucht und Migration genau kennen und diese Themen nutzen, um von anderen Dingen abzulenken. „Dann merke ich im Alltag, dass Menschen völlig unreflektiert die gleichen Parolen von sich geben wie solche politischen Verantwortungsträger.“
Dass eine Frau wie sie, die als Kind lange nicht wusste, ob sie in Deutschland bleiben darf, und der man wegen ihrer Hautfarbe das Deutschsein abspreche, im Landtag sitzt, nennt Touré „superkrass“. Weitere Pläne? „Was politisch kommt, weiß ich nicht, aber ich habe mich klar entschieden, weiter in Schleswig-Holstein Politik zu machen und gern in der nächsten Wahlperiode mehr Verantwortung zu tragen.“ Die Geschäftsordnung des Landtags habe sie noch nicht auswendig gelernt, sagt Touré zu ihrer künftigen Rolle als Vizepräsidentin. „Aber in den Ferien will ich mir das alles im Detail ansehen.“
Er sei sicher, dass Touré die Sitzungsleitung ebenso mit Bravour bewältigen werde wie repräsentative Aufgaben, sagt Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU). Er habe seine Kollegin als außerordentlich engagierte und in ihren Themen sehr sachkundige Kollegin kennengelernt.
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