Hamburg. Bei den Anwohnern an der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Lübeck wächst die Angst vor Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg. Wie die "Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg-Lübeck e.V." am Sonnabend berichtet, könnte die von der Deutschen Bahn geplante Hochgeschwindigkeitstrasse im laufenden Betrieb unkontrollierte Schwingungen auslösen und im schlimmsten Fall die alten Kampfmittel zur Explosion bringen. Sie werden entlang jener Bahnstrecke vermutet, an der die Alliierten noch kurz vor Kriegsende 1945 Tausende von Bomben abgeworfen hatten.
Im 12-Minuten-Takt
Die Deutsche Bahn will diese für den europäischen Güterverkehr wichtige Trasse ausbauen. Vorgesehen seien nicht nur eine S-Bahn-Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Rahlstedt, sondern auch der Einsatz von Hochgeschwindigkeitszügen im 12-Minuten-Takt, sagte Claus-Peter Schmidt, 1. Vorsitzender der Bürgerinitiative. Doch das berge viele Risiken. "Durch den Schallknall werden die Schwingungen ins Erdreich übertragen. Dadurch könnten die Blindgänger explodieren", befürchtet er. Nach Angaben des Kampfmittelräumdienstes werden im gesamten Hamburger Stadtgebiet noch immer mehr als 2800 Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg vermutet. Dazu kommen die Blindgänger zwischen Hamburg und Lübeck.
Fotos belegen das
Von den Engländern neu angekaufte Fotoaufnahmen belegten, dass bei allen Grundstücken entlang dieser Bahnlinie ein "grundsätzlicher Verdacht" auf Blindgänger bestehe, so Claus-Peter Schmidt. Dabei handele es sich um Stabbrand-, Phosphor- und Sprengbomben.
Die Bürger fordern nun, dass im Zuge des Ausbaus alle Bohrungen entlang der Bahnstrecke gemäß der Kampfmittelverordnung durchzuführen sind. Sollte das jedoch nicht der Fall sein, wäre der "Straftatbestand der groben Fahrlässigkeit durch Unterlassung" erfüllt, hieß es. Die Planfeststellung sei bis auf Weiteres auszusetzen, verlangen sie von der Bahn, der Stadt Hamburg und Schleswig-Holstein.
Kosten: Eine Milliarde Euro
Die Hochgeschwindigkeitstrasse soll von Nordeuropa über Lübeck, Reinfeld, Bargteheide, Ahrensburg durch dicht besiedelte Wohngebiete in Rahlstedt, Tonndorf, Wandsbek und Hasselbrook führen und mindestens eine Milliarde Euro kosten. Die Züge von Deutschland nach Dänemark können dann mit maximal 200 Kilometern pro Stunde fahren. Sie können bis zu 835 Meter lang sein. Derzeit fahren auf der Eisenbahnstrecke zwischen Hamburg und Bad Oldesloe beziehungsweise Lübeck täglich nicht nur 90 Nahverkehrszüge in jede Richtung, sondern auch circa 18 Güterzüge.
Mit dem geplanten Ausbau der S-Bahn-Linie S4 und des transeuropäischen Netzes könnte die Zahl nach Prognosen des Bundes auf 120 Güterzüge innerhalb von 24 Stunden ansteigen. Auch die Länge der Transporte wird wachsen – von 740 auf 835 Meter.
Gefahrgüter durch die City
Doch damit nicht genug: Viele Waggons könnten gefährliche Güter transportieren – und das mitten durch eine Metropole, fürchten Mitglieder der Hamburger Bürgerinitiative. "Wir sind für die S4, aber gegen den Güterverkehr auf dieser Trasse", betont der Initiator des Vereins, Claus-Peter Schmidt. Weil nach statistischen Angaben des Eisenbahn-Bundesamtes rund 17 Prozent der Schienenfracht Gefahrgüter sind, dürfte auch die Menge entzündbarer, flüssiger Stoffe deutlich zunehmen. Ole Buschhüter, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter aus Rahlstedt und Vorsitzender des Verkehrsausschusses, hatte dem Abendblatt gesagt: "Ich verstehe die Sorge. Aber es gehört zur Wahrheit dazu, dass eine entwickelte Industriegesellschaft auf Gefahrguttransporte angewiesen ist. Dieser Transport auf der Schiene ist statistisch gesehen 40-mal sicherer als auf der Straße."
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