Kiel

Politik in Schleswig-Holstein „brauner“ als gedacht

| Lesedauer: 2 Minuten
Matthias Popien

Studie: In Schleswig-Holstein war der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder besonders hoch. Die ersten Ergebnisse sind schockierend.

Kiel. Nein, die schleswig-holsteinische Nachkriegsgeschichte muss nicht neu geschrieben werden. Aber sie hat am Mittwoch eine wichtige Ergänzung erfahren. Denn erheblich mehr Ex-Nationalsozialisten als bisher bekannt, haben nach 1945 die politischen Geschicke des Landes bestimmt, Schleswig-Holstein war „brauner“ als andere Bundesländer. Das geht aus einer Untersuchung einer Historikergruppe hervor.

Der schleswig-holsteinische Landtag hatte die Studie im Jahr 2013 in Auftrag gegeben. Die ersten Ergebnisse sind schockierend. Rund 20 Jahre lang, von 1950 bis 1971, lag der Anteil von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern im Parlament nie unter 40 Prozent, sondern zeitweise sogar über 50 Prozent. „Im Vergleich zu anderen Bundesländern erweist sich Schleswig-Holstein damit als Extremfall“, sagte Professor Uwe Danker von der Universität Flensburg, der Leiter der Historikergruppe. In Niedersachsen lag der Anteil in jenen Jahren maximal bei rund 34 Prozent, in Bremen bei nur rund 26.

Noch schlimmer sieht es bei den schleswig-holsteinischen Regierungsmitgliedern von 1946 bis 1982 aus, die die Historiker unter die Lupe nahmen. „Die Exekutive war noch bedeutend stärker formal nationalsozialistisch belastet als die Legislative“, so Danker. „Die Kabinette von Bartram bis Stoltenberg müssen mit 67 bis 76 Prozent ehemaliger NSDAP-Mitglieder als formal erheblich vorbelastet gelten.“

Die Wissenschaftler sammeltenInformationen über 389 Personen

Die Wissenschaftler haben Informationen über die Lebensläufe von insgesamt 389 Personen der Geburtsjahrgänge bis 1928 gesammelt. 342 von ihnen waren Landtagsabgeordnete, 85 waren Regierungsmitglieder. Zwischen beiden Personenkreisen gibt es Überschneidungen. Die Historiker haben sich nicht darauf beschränkt, Mitgliedschaften zu belegen. Sie wollten differenzieren. Danker: „NSDAP-Mitglied ist nicht gleich NSDAP-Mitglied.“ Es habe ehemalige Nationalsozialisten gegeben, die „in Netzwerken aktive apologetische Vergangenheitspolitik betrieben“ hätten. Andere hingegen hätten „die zweite, diesmal demokratische Chance“ genutzt.

Zur ersten Gruppe hat sicher Oskar-Hubert Dennhardt gehört. Der Ritterkreuzträger, Mitglied der SS, war unter anderem Wehrmachtskommandant in Ahrensburg. Nach dem Krieg wurde er Kreisgeschäftsführer der CDU Stormarn und Stadtrat in Bad Oldesloe, später CDU-Landesgeschäftsführer. Von 1950 bis 1952 war er Sonderbeauftragter für Entnazifizierung – und arbeitete dabei mit der Überzeugung, „dass es dringend notwendig ist, dieses traurigste Kapitel der Nachkriegsgeschichte endlich zu beenden“.

Die komplette Studie soll im Juli vorgelegt werden. Danach dürfte weitergeforscht werden. Die Frage lautet: Wie „braun“ war die Politik, die die Ex-Nazis gemacht haben?

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Region