Galerist Wilfried Hubert entdeckte auf der Rückseite eines Gemäldes ein zweites Werk des Worpsweder Künstlers. Der hatte es übermalt.

Worpswede. Zunächst war es nur eine Ahnung. Ein Schimmer oder ein Schatten. Hinter der schwarzen Farbe zeichnete sich auf der Mitte der Leinwand ein heller Fleck ab. In der unteren Hälfte konnte Wilfried Hubert ein wenig Grün erkennen, das durch das Schwarz hindurchschien. Der Fachmann für die Alten Meister aus Worpswede, der seit 25 Jahren in dem niedersächsischen Künstlerdorf arbeitet, ahnte: Hinter der schwarzen Farbe auf der Rückseite des Gemäldes „Heidehügel“ von Otto Modersohn (1865 bis 1943) könnte sich ein bislang völlig unbekanntes Werk des Mitbegründers der Künstlerkolonie Worpswede verbergen. Das war im Jahr 2001. Heute steht fest, dass Hubert recht hatte. In seiner Galerie ist das Werk, das mehr als 100 Jahre versteckt war, erstmals zu sehen. „Eine Neuentdeckung“, sagt der Galerist.

Für die Modersohn-Fans kommt das bislang unbekannte Bild 150 Jahre nach der Geburt des Malers einer Sensation gleich. „Maitag 1906“ hat Hubert das Gemälde genannt, das eine Frühlingslandschaft bei Worpswede zeigt. Modersohn malte einen Bauern, der auf einem urbar gemachten Torfabstich seinen Garten bestellte. Die Buchenreihe der linken Bildseite blieb unvollendet.

„Vermutlich entstand das Bild 1906“, sagt Rainer Noeres vom Modersohn-Museum in Fischerhude. An der Echtheit des Bildes besteht für den Ehemann der Modersohn-Enkelin Antje kein Zweifel. Warum der Künstler das Bild übermalte und die andere Seite der Leinwand für ein neues Bild nutzte, kann Noeres nicht mehr klären. Möglicherweise befand sich Modersohn in finanziellen Schwierigkeiten und musste deshalb das Material zweimal verwenden. Dass er das Frühlingsbild schwarz übermalte, wertet der Modersohn-Fachmann als klares Indiz, dass dem Künstler seine Arbeit nicht gefiel: „Er hat das Bild damit für ungültig erklärt.“

Wilfried Hubert hielt das ungewöhnliche Bild erstmals Ende der 90er-Jahre in den Händen. Ein Münchener Rechtsanwalt hatte es der Worpsweder Galerie in Kommission zum Verkauf überlassen. Damals fielen dem Galeristen die Farbschimmer auf der Rückseite auf. „Es schimmerte etwas durch“, erinnert er sich. Der 2009 gestorbene Sohn des Künstlers, Christian Modersohn, war 1999 dabei, als im Museum in Fischerhude der helle Fleck in der Mitte freigelegt wurde und der Bauer zum Vorschein kam. „Das könnte nur ein Fragment sein“, hieß es damals.

Als Hubert das Bild 2001 an eine Privatsammlung in Brandenburg inklusive einer Expertise aus dem Modersohn-Museum verkaufte, vergaß er nicht, den neuen Besitzer auf das kleine Bild des Bauern auf der schwarzen Rückseite hinzuweisen. Jahrelang zögerte er, die schwarze Farbe zu entfernen. „Dann siegte die Neugier“, sagt Hubert. 5000 Euro investierte der Besitzer, um die Leinwandrückseite von einem Restaurator freilegen zu lassen. Zum Vorschein kam der „Maitag 1906“.

Dem Galeristen gefällt dieses Gemälde besser als die Vorderseite mit dem „Heidehügel“, der um 1915 entstand. Hubert verkauft den doppelten Modersohn für einen hohen fünfstelligen Betrag. Dafür erhält der Käufer ein Kunstwerk, das er von beiden Seiten bewundern und freischwebend in einen Raum hängen kann.