Führte zu liberaler Strafvollzug in der JVA Lübeck zur Geiselnahme? Beamter schreibt Brandbrief an Ministerpräsident Albig.

Lübeck. Heiligabend, 17 Uhr: Fast überall in Deutschland wird an die Bescherung gedacht. Im Gefängnis Lauerhof in Lübeck wird an Befreiung gedacht. Vier Häftlinge ziehen einen Justizbeamten in die Zelle, in der sie sich getroffen haben. Einer hält ihm ein Messer an die Kehle – eine Geiselnahme. Ziel ist der Ausbruch. Doch dazu kommt es nicht. Eine Viertelstunde später wird der Geiselnehmer auf dem Weg zum Hauptausgang von Gefängnismitarbeitern überwältigt. Drei Wochen liegt dieses Ereignis zurück. Nun melden sich die Justizbeamten zu Wort.

Einer hat an den Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) geschrieben und kritisiert, dass im Lauerhof die Zellentüren zu oft geöffnet seien. Er macht dafür die neue Anstaltsleiterin Agnete Mauruschat verantwortlich. „Sehr viele Kolleginnen und Kollegen sind gefrustet und können nicht mehr“, heißt es in dem Brief. Und weiter: „Jetzt ist es Zeit zu handeln, bevor hier alles gegen die Wand gefahren wird!“

Für die Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) kommt dieser Hilferuf aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lauerhof zur Unzeit. Gerade eben hat sie ihre Pläne für eine Reform des Strafvollzugsgesetzes präsentiert. Kernpunkte sind eine Stärkung des offenen Vollzugs und eine Ausrichtung der Haftbedingungen auf die Wiedereingliederung der Gefangenen.

„Sicherheit bekommt man nicht durch Wegschließen“

„Sicherheit bekommt man nicht durch Wegschließen“, sagte Spoorendonk bei der Vorstellung ihrer Pläne. Die täglichen Aufschlusszeiten im Gefängnis sollten ausgeweitet werden, besonders an den Wochenenden. Doch genau diese Aufschlusszeiten, also das Öffnen der Zellentüren, werden von den Justizbeamten kritisiert. „Wenn man das ausweiten will, brauchen die Gefängnisse eine bessere personelle Ausstattung“, sagt Michael Hinrichsen, der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende der Gewerkschaft Strafvollzug.

Nicht nur die Gewerkschaft, auch die Opposition hat sich mittlerweile auf die Justizministerin eingeschossen. Daniel Günther, Chef der CDU-Fraktion im Landtag, forderte den Ministerpräsidenten unumwunden auf, Spoorendonk „angesichts ihres Umgangs mit der Geiselnahme die Zuständigkeit für die Justiz zu entziehen“.

Günther kritisiert insbesondere die Tatsache, dass die Anstaltsleiterin Agnete Mauruschat die Polizei erst am Tag nach der Geiselnahme hinzugezogen hat. Beweismittel könnten dadurch verloren gegangen sein, findet Günther. „Nur wer unverzüglich alle Beweismittel sichert, kann mögliche Fehler analysieren“, sagt er.

Mauruschat äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Laut Oliver Breuer, Sprecher des Justizministeriums, werden die Ereignisse im Gefängnis Lauerhof derzeit untersucht. Die Anstaltsleiterin habe sich „bewusst entschieden, erst am 25. Dezember Strafanzeige zu erstatten, nachdem ihr der schriftliche Erstbericht vorlag. Zudem galt es am 24. Dezember abends zunächst, wieder Ruhe in die Anstalt zu bringen.“

Das mag zu Weihnachten gelungen sein. Mittlerweile dürfte es mit dieser Ruhe wieder vorbei sein. Glaubt man dem Verfasser des Briefes an Torsten Albig, ist die Stimmung in der JVA auf dem Tiefpunkt. „Aufgrund der Führung von Frau Mauruschat sind die Krankenstände weiter in die Höhe geschossen“, schreibt der Justizbeamte. „Sie legt mehr Wert auf Freizeitgestaltung der Gefangenen als auf die Sicherheit in der Anstalt. Es sollen Häuser möglichst immer auf sein, auch wenn nicht genug Personal zur Verfügung steht.“

Gab es Hinweise auf die Geiselnahme?

Um die Geiselnahme selbst kümmert sich mittlerweile die Polizei. Sie muss unter anderem die Frage klären, ob es zuvor bereits Hinweise auf die Aktion der vier Gefangenen gegeben hat. Und auch die Anstaltsleiterin wird sich Fragen gefallen lassen müssen. So hatte der Haupttäter eigentlich nicht die Erlaubnis, sich mit anderen Gefangenen in einer Zelle zu treffen. Dieser sogenannte Umschluss war ihm aus disziplinarischen Gründen untersagt worden. Zu Weihnachten wurde diese Maßnahme aufgehoben – eine mildtätige Gabe zum Fest.

Der Haupttäter ist mittlerweile nach Hamburg verlegt worden. Anke Spoorendonk bleibt weiter für Justiz zuständig. „Die Bediensteten der JVA haben vorbildlich reagiert“, sagte sie am 7.Januar im Innen- und Rechtsausschuss. „Wir können uns glücklich schätzen, so gut ausgebildetes, engagiertes Vollzugspersonal zu haben.“ Einen Tag später meldete sich das „engagierte Vollzugspersonal“ zu Wort – mit einem Brief an Torsten Albig.