Schulen, Kitas und Verkehr: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) über seine Pläne bis zur nächsten Landtagswahl 2017.

Kiel. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) ist zum Ende der ersten Hälfte seiner Legislaturperiode gehörig ins Schleudern geraten. Ein schlecht abgestimmtes Lehrkräftebildungsgesetz brachte erst die Kieler Universität auf die Barrikaden, dann die Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos) ins Abseits. Ihr Rücktritt, begleitet vom Rücktritt des Innenministers Andreas Breitner (SPD), war der Tiefpunkt der von SPD, Grünen und SSW getragenen Regierung. Das Abendblatt sprach mit Albig.

Hamburger Abendblatt: Sind Sie nach zweieinhalb Jahren im Amt ein anderer Ministerpräsident als am Anfang?
Torsten Albig: Die Erfahrungen, die man in dieser Zeit sammelt, gehen schon nicht spurlos an mir vorüber. Immer in der Öffentlichkeit zu stehen oder mit Kritik, die auch gerne mal unter die Gürtellinie zielt, umzugehen. All das ist in diesem Amt viel spürbarer als in den Aufgaben, die ich bisher hatte. Dass man seine Privatheit fast komplett verliert, das war zu Anfang schon etwas gewöhnungsbedürftig.

Am Ende der ersten Hälfte ihrer Amtszeit ist es mit zwei Ministerrücktritten richtig chaotisch geworden. Hatten Sie die Sorge, dass die Koalition daran zerbrechen könnte?
Albig: Es gab Unruhe. Das stimmt. Chaos gab es nicht. Die Koalition hat das alles mit einer kleinen Ausnahme im Wesentlichen unberührt gelassen. Diese Ausnahme entsprang eigener Ungeschicklichkeit bei der Beantwortung der am Ende eher nachrangigen Frage, wie die Ressorts neu zugeschnitten werden. Der Neuzuschnitt war notwendig, weil Britta Ernst zu uns kam und sie als Ministerin nicht fürs Universitätsklinikum zuständig sein konnte, denn der Chef des Klinikums ist ihr Schwager. Da hätte ich noch ein paar mehr Gespräche führen müssen. Ansonsten gab es in dieser Phase eine sehr überzeugende Unterstützung aller drei Fraktionen. Das habe ich woanders in Deutschland auch schon anders erlebt. Da werden solche kritischen Situationen genutzt, um Geländegewinne zu machen. Das passierte hier nicht.

Was kommt jetzt noch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode? In Ihrer Regierungserklärung haben Sie dazu nicht viel gesagt.
Albig: Die Regierungserklärung war mit dem Wort „Halbzeitbilanz“ überschrieben. Sie war und sollte also eine Beschreibung dessen sein, was wir bis hierhin getan haben.

Dennoch wäre es nicht ungewöhnlich gewesen, zugleich auch einen Ausblick auf die kommenden zweieinhalb Jahre zu geben.
Albig: (lacht) Das sind mir die liebsten Gespräche. Du redest zwei Stunden über Fußball, und dann sagt einer: „Echt schade, dass du über Basketball gar nichts gesagt hast.“ Wir haben einen Großteil der Dinge, für die wir gewählt wurden, auf den Weg gebracht. Im Bereich Schule haben wir alle Strukturfragen beantwortet. Es wird für lange, lange Zeit – falls nicht andere Parteien wieder an die Regierung kommen – keine Veränderungen geben. Es wird nur noch Qualitätsverbesserungen geben. Diesen Weg werden wir Schritt für Schritt gehen. Wir wollen zum Beispiel, dass die Unterrichtsversorgung in Schleswig-Holstein nicht signifikant hinter dem zurückbleibt, was Ihre Leserinnen und Leser in Hamburg gewohnt sind. Das wird die zentrale Aufgabe für Britta Ernst sein.

Auch im Bereich Kita haben wir noch einiges vor. Ein beitragsfreies Kindergartenjahr wäre für eine durchschnittlich verdienende Familie eine massive finanzielle Entlastung. In der Metropolregion Hamburg würde man damit auch eine Ungleichbehandlung beseitigen. In Hamburg gibt es das beitragsfreie Jahr schon – aber eben nur für Hamburger Kinder. Schleswig-Holsteiner, die ihr Kind in Hamburg betreuen lassen, müssen dafür bezahlen. Wir wollen – wenn es die Haushaltslage zulässt – das beitragsfreie Kita-Jahr 2017 schaffen. Aber wir werden uns sehr anstrengen müssen, um es auch hinzubekommen. Außerdem wollen wir die Kita-Qualität verbessern. Bildung beginnt in der Krippe. Dafür brauchen wir einen guten Betreuungsschlüssel. Wir haben die Hamburger Debatte darüber sehr aufmerksam verfolgt. Außerdem wollen wir versuchen, noch mehr für die Hochschulen zu tun. Allerdings haben wir im Moment keine finanziellen Spielräume.

Die Landesregierung hat gerade einen Infrastrukturbericht vorgelegt. Daraus geht hervor, dass die Verschuldung im Grunde genommen noch größer ist, weil der Sanierungsbedarf bei Straßen und Brücken dazugerechnet werden muss. Was wollen Sie damit erreichen?
Albig: Zum einen machen wir uns mit diesem Bericht ehrlich und wissen genau, wo wir stehen. Zum anderen sagen wir den Menschen: Es gibt zwar ein Problem, aber wir können es lösen. Zur Problembeschreibung gehört, dass sich eine marode Infrastruktur über viele Jahrzehnte aufgebaut hat. Man wird auch mit Jahrzehnten rechnen müssen, um es wieder zu reparieren. Wir haben bei der Sanierung der Infrastruktur in Schleswig-Holstein ein finanzielles Loch von rund 2,5 Milliarden Euro. In der nächsten Legislaturperiode wollen wir so viel wiedergewonnenen Spielraum im Haushalt haben, dass wir jedes Jahr 100 Millionen Euro ausgeben können. Falls wir weitere Überschüsse erzielen, könnten wir die 100 Millionen vielleicht sogar auf 150 oder 200 Millionen Euro erhöhen. In 20 Jahren könnten wir es geschafft haben, Schleswig-Holstein zu sanieren. Die Frage ist: Nehmen die Menschen das als Erfolg wahr? Oder nehmen sie es als Versagen wahr, weil es so lange dauert? Unsere Infrastruktur ist zukunftsfähig, aber dafür müssen wir uns anstrengen.

Über die Reform des kommunalen Finanzausgleichs hätten Sie sich früher als Kieler Oberbürgermeister gefreut, weil die Städte mehr Geld bekommen. Zwei Kreise, die weniger Geld bekommen, klagen nun gegen die Reform.
Albig: Niemand bekommt weniger Geld, auch die Kreise nicht. Sie verlieren nur virtuell, wenn man ausrechnet, was ihnen die alte Regelung 2015 eingebracht hätte. Da ist also jemand traurig darüber, dass er im nächsten Jahr nicht ganz so reich wird, wie er gedacht hat. Reich bleibt er aber. Wir haben ein neues Verteilkriterium eingeführt, und das ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in den Kommunen. Einer der erfolgreichsten Landkreise ist Stormarn. Dort gibt es Vollbeschäftigung, ein Wirtschaftswachstum über Hamburger Niveau, hohe Steuereinnahmen und ganz wenige Bedarfsgemeinschaften – also sehr niedrige Sozialkosten. In Neumünster sieht das ganz anders aus.

Wir wollen nicht, dass das Land aus der Balance gerät. Wir wollen einen gerechten Ausgleich. Das heißt, dass die Starken die nicht ganz so Starken unterstützen müssen. Den angekündigten Klagen sehe ich mit Respekt, aber auch mit Gelassenheit entgegen. Denn eins ist für mich ganz sicher: Das „Ausgleichs“-System, das wir jetzt abschaffen, das war schon lange verfassungswidrig.