Polizei entdeckte kleinen Jungen nackt in einem Verschlag. Paar aus Bad Segeberg wegen Freiheitsberaubung angeklagt.

Kreis Segeberg. Der Aufschrei und das Entsetzen waren groß, als im Juni 2012 das „Kellerkind“ aus Bad Segeberg bundesweit Schlagzeilen machte. Polizisten hatten in einem Kellerverschlag eines Mehrfamilienhauses einen kleinen Jungen entdeckt, der nackt und verstört auf dem Betonboden im eigenen Kot saß. Der entsetzliche Verdacht: Seine eigenen Eltern hatten den Dreijährigen auf Dauer eingesperrt. Jetzt stehen die Eltern vor Gericht. Der 47 Jahre alte Vater und die 35 Jahre alte Mutter müssen sich wegen Freiheitsberaubung verantworten. Außerdem wird dem Mann zweifache Körperverletzung vorgeworfen, weil er eine ältere Tochter geschlagen haben soll.

Der Prozess beginnt am Mittwoch, 17. Dezember, in Bad Segeberg. Vorangegangen sind aufwendige Ermittlungen und ein monatelanges Tauziehen zwischen der Staatsanwaltschaft und den Gerichten über die Anklage. Der Streit beschäftigte das Oberlandesgericht und die Generalstaatsanwalt.

Oberstaatsanwalt Axel Biehler wollte beide Elternteile vor dem Landgericht wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung zur Verantwortung ziehen. Besonders erschwert wurde die Arbeit der Staatsanwaltschaft, nachdem Geschwister des Jungen Aussagen über Misshandlungen zurückgezogen hatten, die sie zunächst bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatten. Ursprünglich standen außer dem Fall des eingesperrten Sohnes 14 Attacken auf Mädchen in den Akten. In zwölf Fällen war nach damaligem Stand stets dasselbe Kind das Opfer.

Doch Biehler blitzte zunächst beim Richter ab, der die Anklage zusammenstrich; übrig blieb ein Verfahren gegen die Mutter wegen Freiheitsberaubung. Diese Entscheidung wollte der Oberstaatsanwalt jedoch nicht akzeptieren und legte Beschwerde ein – mit Erfolg. Der Prozess gegen die Eltern wird von einem Jugendrichter verhandelt. Diese Regelung sieht das Gesetz vor, weil das Opfer der Körperverletzung – die heute 13-jährige Tochter – minderjährig ist. In solchen Fällen übernehmen Richter den Prozess, die im Umgang mit jugendlichen Zeugen oder Opfern besonders geschult sind.

Nicht verhandelt werden Vorwürfe gegen die Eltern, den Jungen regelmäßig und dauerhaft eingesperrt zu haben. Diese Vermutungen waren nicht zu beweisen. Auch andere Hinweise können juristisch nicht verfolgt werden. Dazu zählen die Erkenntnisse, dass Kinder der Familie zurückgeblieben sein sollen, weil die Mutter während der Schwangerschaft sich immer wieder betrunken haben soll. In dieselbe Kategorie fällt der Vorwurf, der aufgefundene Junge habe einen deformierten Hinterkopf, weil er nahezu ununterbrochen als Baby auf dem Rücken liegen musste und nur selten aus dem Bettchen gehoben wurde.

Ebenfalls eingestellt wurden Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Kreisjugendamts und eines Vereins aus Kaltenkirchen, der im Auftrag der Behörden die Familie betreute. Ihnen waren strafrechtlich relevante Verfehlungen nicht nachzuweisen. Die Eltern waren dem Jugendamt des Kreises Segeberg bekannt. „Es war immer jemand da, der ihnen Hilfe anbot“, heißt es bei der Justiz. Doch die Angebote wurden abgelehnt. „Es fehlte die Einsicht.“ Das Kreisjugendamt hatte für die meisten Kinder das Sorge- und das Aufenthaltsbestimmungsrecht und vergab den Auftrag für die Betreuung der Familie an den Verein. Die Betreuer hatten jedoch nur Zutritt zu einem Zimmer in der Wohnung.

Der Fall des „Kellerkindes“ hatte im Kreis Segeberg zu einem politischen Erdbeben geführt, das bis heute nachwirkt. Damals musste Jugendamtsleiter Georg Hoffmann gehen. Besonders in Bedrängnis geriet außerdem die damalige Landrätin Jutta Hartwieg, die durch ihr unprofessionelles Krisenmanagement auffiel, Gutachten zurückhielt und später öffentlich eigene Fehler einräumte.

Erinnerungen an den Fall des Kellerkindes wurden vor wenigen Wochen erneut wach, als im Segeberger Stadtteil Kleinniendorf eine Mutter ihr Kleinkind 40 Stunden allein ließ, bis es von der Feuerwehr entdeckt wurde. Ein Mitarbeiter des Kreisjugendamts war zuvor den Hinweisen aus der Nachbarschaft auf das schreiende Baby nicht ausführlich nachgegangen.

„Eine schwere Fehleinschätzung“, sagt dazu der Leiter des Kreisjugendamts, Manfred Stankat. Der Fehler sei passiert, obwohl der junge Sozialarbeiter sämtliche seit dem „Kellerkind“-Fall angesetzten Fortbildungen mitgemacht und das neue Alarmierungssystem des Jugendamts mit aufgebaut habe.