Ernst Albrecht, Niedersachsens Ministerpräsident von 1976 bis 1990, ist im Alter von 84 Jahren gestorben

Hannover. Bei seinen wenigen, bestenfalls halb öffentlichen Auftritten in den letzten Jahren hat er immer ein wenig ratlos ausgesehen. Aber nicht einmal die Demenz konnte sein Lächeln verändern: Ernst Albrecht, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen von 1976 bis 1990, der erste Christdemokrat in der Geschichte des Landes in diesem Amt, ist mit 84 Jahren an diesem Wochenende gestorben.

Er war ein Seiteneinsteiger, hatte bereits eine steile Beamtenkarriere bei der Europäischen Union hinter sich und war Finanzchef des hannoverschen Kekskonzerns Bahlsen, als er im Januar 1976 mit den Stimmen von drei Abweichlern aus der Koalition von SPD und FDP völlig überraschend zum Regierungschef gewählt wurde. Der Sohn aus gutbürgerlichem Hause regierte dann ein Jahr mit einer Minderheitsregierung, ehe die FDP sich auf die Seite der CDU schlug.

Die Niedersachsen waren auf Anhieb angetan: Gleich zweimal, 1978 und 1982, holte Albrecht dann im zuvor eindeutig sozialdemokratisch geprägten Niedersachsen absolute Mehrheiten im Landtag, nach der Wahl 1986 dann kam es erneut zur Koalition mit der FDP.

Albrecht lächelte viel, aber darin steckte auch eine gehörige Portion Distanz sogar zu seiner engeren Umgebung. Mitstreiter aus seinen Kabinetten bezeichneten ihn als beinhart in der Sache und eher begrenzt beratungsfähig. Und er pflegte einen Umgang mit den Medien, der damals noch ungewöhnlich war. Die Fernsehbilder von den vielen musizierenden Kindern auf dem Gut Beinhorn bei Burgdorf vor den Toren Hamburgs schrieben Fernsehgeschichte. Und Tochter Ursula geisterte als „Röschen“ durch die Medien. Und dann war da ja noch das Jahr 1978, als der Ministerpräsident Albrecht unter dem Eindruck der Berichte über das fürchterliche Schicksal vietnamesischer Flüchtlinge diese sogenannten Boatpeople nach Niedersachsen holte. Wieder unvergessliche Fernsehbilder, als die Familien mitten im Winter in Decken gehüllt auf dem Flughafen Hannover ankommen und Albrecht ihnen versichert, sie müssten nun keine Furcht mehr haben und seien willkommen.

Auf Distanz bedacht war er auf seine Art in Bezug auf seine eigene Partei. Mit dem CDU-Landesvorsitzenden Wilfried Hasselmann aber hatte er genau den richtigen Partner, der sangesfreudig und trinkfest die Basis bei Laune und dem Ministerpräsidenten viele Jahre den Rücken freihielt.

Schon im ersten Jahr als Regierungschef machte Albrecht auch der eigenen Bundespartei unter dem Vorsitzenden Helmut Kohl deutlich, dass er als Seiteneinsteiger nicht bereit war, sich Anweisungen aus Bonn zu beugen. Albrecht half mit den niedersächsischen Stimmen im Bundesrat den Ostverträgen der sozial-liberalen Bundesregierung über die Hürden im Bundesrat. Spätestens ab 1979 verkörperte er dann endgültig das modernere Gesicht der Volkspartei CDU, als er gegen den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß antrat – im Kampf um die Kanzlerkandidatur 1980. Albrecht verlor, aber war endgültig etabliert – ein Stück weit neben der eigenen Partei.

Was ihm bis zu einem Tod angehangen hat: Anfang der 80er-Jahre entschied er im Alleingang, Gorleben als Standort für ein Atomendlager zu benennen. Es gab damals geeignetere Alternativen, etwa in der Region Weser-Ems, aber die dortigen CDU-Abgeordneten drohten damit, ihm im Landtag den Gehorsam aufzukündigen. Weswegen das aus geologischer Sicht eher zweitklassige Wendland ausgeguckt wurde.

Wieder so ein Bild für die Geschichtsbücher: Albrecht steht vor einer großen Landkarte und zeigt natürlich lächelnd auf den Standort. Immerhin: Unter dem Eindruck massiver Proteste nicht nur in der Region an der Zonengrenze, sondern auch in Hannover mit Zehntausenden von Teilnehmern und zahllosen Treckern entscheidet er später, das eigentlich geplante nukleare Entsorgungszentrum mit Wiederaufarbeitung nicht zu bauen. Dies sei politisch nicht durchsetzbar, stellte er im Landtag in Hannover fest.

Es folgten die Spielbankenaffäre mit verschwiegenen Spenden an die CDU und der Skandal um das „Celler Loch“ – mit Wissen Albrechts hatte der Verfassungsschutz einen Sprengstoffanschlag auf das Gefängnis in Celle inszeniert, um einen V-Mann bei linksextremistischen Terroristen einzuschleusen. Der frühe Glanz der Regierung verblasste spürbar.

1990 dann reichte es denkbar knapp für den Sozialdemokraten Gerhard Schröder mit seiner rot-grünen Landesregierung. Und Albrecht, der sich und seine Familie 14 Jahre lang inszeniert hatte, tat wieder genau das, womit niemand rechnet. Er zog sich komplett aus der Öffentlichkeit zurück, gab keine Interviews, trat nicht nach. 2007 zog dann Tochter Ursula mit ihrer Familie zu dem dementen alten Mann und sorgte seitdem für ihn.

Nachfolger Gerhard Schröder berichtete, als er schon Kanzler war, von vertraulichen Gesprächen aus dem Jahr 1990, bei denen Albrecht dem Wahlsieger mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Im Interesse des Landes. Genau das charakterisiert ihn wohl am besten.