Deutschlands größte industrielle Schlammfläche bei Stade soll erweitert werden. Betreiber spricht von Entlastung, Gegner fürchten Zerstörung. Einwohner wehren sich gegen Vorhaben.

Stade-Bützfleth. In Stadermoor, etwa zehn Kilometer von Stade entfernt, liegt Deutschlands größte Rotschlammdeponie. Ihre derzeit rund 154 Hektar große Nutzfläche soll nach Plänen ihres Betreibers, der Aluminium Oxid Stade (AOS), bis zum Jahr 2028 kontinuierlich erweitert werden. „Das ist nötig, um unseren Produktionsstandort mit mehr als 580 Beschäftigten in Stade-Bützfleth für rund 15 weitere Jahre zu sichern“, sagt der AOS-Geschäftsführer Volker Richter.

Doch im benachbarten Ort Hammah mit rund 3000 Einwohnern wehrt sich eine Bürgerinitiative (BI) gegen dieses Vorhaben und alle damit verbundene Logistik. Denn für die Deponieerweiterung und die dafür notwendige Erhöhung der Deiche von derzeit zwölf auf 21Meter muss massenhaft Sand angeliefert werden. „Der jährliche Sandbedarf für den Dammbau ist mit circa 150.000 Kubikmetern geplant“, sagt Gerd Vollmers, ehemals technischer Leiter und heute Berater für den Deponiebau der AOS.

So transportieren an rund 200 Werktagen im Jahr jeweils 60 Traktorengespanne Sand aus Kiesgruben bei Stade und Fredenbeck auf zwei Routen zur Deponie. Sie führen durch Stade und Götzdorf sowie durch Hammah, Groß Sterneberg und über die Kreisstraße 80.

Doch auch die jüngsten AOS-Pläne zur deutlichen Verkehrsentlastung der Anwohner entlang der Sandtransportwege sehen die Aktivisten aus Hammah nicht als akzeptable Alternative. Rolf-Hans Supper und Dieter Loerwald, Sprecher der „BI gegen den Sandabbau in Hammah“ argumentieren, dass Anwohner in ihrer Lebensqualität durch Lärm, Schadstoffe und Wertverluste ihrer Grundstücke beeinträchtigt sind. Unter anderem drohe erhöhtes Tinnitusrisiko.

Deshalb hatte die AOS-Geschäftsführung in Absprache mit der zuständigen Samtgemeinde Oldendorf-Himmelpforten Anfang 2014 angestrebt, Sand aus einer deponienahen Kiesgrube bei Hammah abzubauen, um den Anwohnern künftig Verkehrsbelastungen zu ersparen. Die BI Hammah hatte sich erfolgreich gegen das Vorhaben „Sandgrube Hammah II“ gewehrt, weil sie nur rund 250 Meter vor der Ortsgrenze lag.

„Wir wollen nicht gegen die Bevölkerung arbeiten“, sagte AOS-Chef Richter und bietet nach dem Verzicht auf „Hammah II“ eine neue Alternative an, etwa drei Kilometer vom Ortskern Hammah entfernt. In diesem Bereich, in der Feldmark zwischen Hammah und Groß Sterneberg,2 hatte die AOS im Jahr 1979 bereits Sand entnommen und die ehemalige Kiesgrube so renaturiert, dass sie heute als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist.

Direkt daneben, von der nun geplanten 17 Hektar großen Abbaufläche „Hammah III“, soll der Sand über eine nur etwa drei Kilometer lange Trasse aus ausgebauten Feldwegen zur Deponie gebracht werden. „Lediglich an einer Stelle würden wir die Kreisstraße80, entfernt von Wohnhäusern, queren“, beschreibt Richter die Pläne, für die das Unternehmen AOS noch in diesem Jahr beim Landkreis und der Gemeinde die Genehmigung beantragen wird.

Während Richter eine deutliche Verbesserung für die Anlieger entlang der jetzigen Transportwege sieht, sagen die Gegner aus Hammah, dass sie nun „die Zerstörung der Landschaft“ fürchten. Unterstützung bekommen sie aus Groß Sterneberg. Malte Wallhöfer und Frauke Schroeder, die den Verkehr jetzt direkt vor ihrem Haus an der K80 haben, sammeln Unterschriften dagegen. „Wir fürchten Lkw-Karawanen, Staus und über Jahre permanenten Lärm der Sandbagger“, sagt Wallhöfer, dessen Haus etwa einen Kilometer von „Hammah III“ steht. Schon jetzt sei es genug, es gebe Risse an den Gebäuden, weil der moorige Untergrund nicht für schwere Transporter geeignet sei. Die BI Hammah hat den Nachteilekatalog erweitert: „Einbußen des Freizeitwerts, Störung der Tierwelt, Schadstoffbelastung von Transportern, Sandbaggern und Planierraupen.“ Außerdem seien Fragen zur Grundwassersicherheit, zur Haftung für Schäden an Häusern oder zu Gefahren im Falle eines Deichbruchs an der Deponie völlig ungeklärt.

Die Gefahr eines Deichbruchs an der vor 40 Jahren genehmigten Rotschlammdeponie sieht Stades Kreisbaurat Hans-Hermann Bode nicht. Auch Deponieexperte Vollmers und Volker Richter erklären, dass nach der chemischen Bindung der Aluminiumbestandteile die rote afrikanische Erde so aufbereitet wird, „dass sie nicht toxisch ist“. Am Deponieverfahren gebe es zudem nichts zu verheimlichen. Katastrophen, wie 2010 im ungarischen Ajka, werde technisch vorgebeugt. „Die AOS wäscht den Rotschlamm vor der Deponierung als einziges Unternehmen weltweit, sodass die stark ätzende Natronlauge ausgefiltert wird“, erklären Richter und Vollmers den Prozess.

„Die Erhöhung der Deponiedeiche wurde nach einem Planfeststellungsverfahren 2011 genehmigt, und Sand von „Hammah III“ würde die Ortsdurchfahrten der Transportgespanne deutlich reduzieren“, sagt Kreisbaurat Bode. Auch Holger Falcke, Bürgermeister der Samtgemeinde Oldendorf-Himmelpforten, sagt, dass reduzierter Verkehr für die Menschen in Hammah und Groß Sterneberg eine sinnvolle Lösung sei. „Dass die neuen Entlastungspläne wiederum von der BI als Problem angefochten werden, kann ich nicht verstehen“, sagt AOS-Chef Richter.

Wenn der Sandabbau von „Hammah III“ genehmigt werde, dann solle er per Sandspülverfahren und unterirdischem Transport per Rohrleitung zur Deponie erfolgen, fordert nun die BI und pocht auf eine Prüfung der Umweltverträglichkeit. Das sieht die AOS nicht als Alternative. Für ein solches, teures Verfahren würden große Zwischenlagerflächen für den Spülsand erforderlich, so AOS-Chef Richter. „Zusätzliche Eingriffe in die Landschaft und neue, jahrelange Genehmigungsverfahren wären nötig“, sagt Richter. Bis dahin müsste der Sand weiter durch die Ortschaften transportiert werden.